Vierzig Jahre später: Zwischen der Zukunft und dem Steinfloß

Saramago stellte sich ironisch vor, wie sich die Iberische Halbinsel vom europäischen Kontinent ablöste und wie ein steinernes Floß im Atlantik trieb. Eine geografische Trennung, die eine potenzielle politische, kulturelle und zivilisatorische Trennung widerspiegelte. Was wäre, wenn Portugal 1986 nicht Europa beigetreten wäre? Was wäre, wenn wir, anstatt Teil eines gemeinsamen Projekts zu sein, allein und mit der Strömung getrieben wären?
Die Geschichte bietet uns keine sicheren Antworten, aber die Fakten zeigen uns das Wesentliche: In den letzten 40 Jahren hat sich Portugal verändert. Und zwar zum Besseren. Unsere Demokratie hat sich gefestigt, Infrastruktur ist dort entstanden, wo sie zuvor vernachlässigt wurde, Universitäten haben sich der Welt geöffnet, Tausende junger Menschen haben mit Erasmus im Ausland studiert, kleine Unternehmen haben Märkte gefunden, und Portugal hat sich von einem Randland zu einem aktiven Akteur im Herzen des europäischen Projekts entwickelt.
Ich spreche nicht nur von Statistiken. Ich spreche von Gesichtern, Geschichten und Begegnungen, die von diesem Wandel zeugen.
Vor ein paar Tagen traf ich fast hundert junge europäische Botschafter in Piódão – einem abgelegenen Dorf, das fast zwischen den Bergen schwebt. Dorthin zu gelangen, ist an sich schon eine Willensleistung. Doch in den Augen dieser jungen Menschen, die aus dem ganzen Land angereist waren und die, wie ich, Portugal vor dem Beitritt nie gesehen hatten, war keine Müdigkeit zu erkennen. Es gab Energie. Es gab Träume. Es gab Europa. Wir sprachen über die Europäische Union, ihre Schwächen und ihre Vorzüge, was noch zu tun bleibt, was wir nicht als selbstverständlich ansehen können. Und inmitten der alten Steine und der Stille der Berge wurde mir klar, dass Europa keine ferne Idee mehr ist. Es ist da. Es lebt dort. Und vielleicht war es das schon immer – und wartete darauf, anerkannt zu werden.
Doch nicht alles ist sicher. Das Steinfloß bleibt eine Möglichkeit, wenn wir es vernachlässigen. Frieden, Freiheit, Solidarität – alles, wofür die Union steht – wird in Frage gestellt. Es gibt diejenigen, die Mauern wieder aufbauen wollen, diejenigen, die Isolation der Zusammenarbeit vorziehen, diejenigen, die Desinformation und Spaltung fördern.
Was mir Hoffnung gibt, sind genau diese Begegnungen mit jungen Menschen. Denn Europäer zu sein ist heute kein passiver Zustand – es ist die aktive Ausübung von Bürgerschaft. Es stellt die Frage: Welches Europa wollen wir? Für wen? Mit welchen Werten? Welche Zukunft?
1986 wählte Portugal eine Richtung. Es entschied sich dazuzugehören. Und damit weigerte es sich, ein steinernes Floß zu sein. Es entschied sich, eine Brücke zu sein, einen Dialog zu ermöglichen, eine Zukunft zu gestalten.
Vierzig Jahre später feiern wir diese Entscheidung – nicht mit Selbstgefälligkeit, sondern mit Verantwortung. Denn Europa braucht Portugal, und Portugal braucht Europa. Mehr denn je.
Und den jungen Menschen, die ich in Piódão getroffen habe – und allen anderen – hinterlasse ich diese Botschaft: Das Floß setzt sich nur in See, wenn wir es zulassen. Und solange es Menschen gibt, die glauben, diskutieren, mitmachen, wählen, kritisieren, kämpfen und aufbauen … werden wir gemeinsam weitermachen. Nicht treibend, sondern in Richtung Zukunft.
observador