Wettergedächtnis und Klimawandel: Wie verlässlich ist unsere Erinnerung an Wetter?

Gerade erst hat es in Deutschland wochenlang geregnet, jetzt steigt die Temperatur hierzulande an vielen Orten wieder weit über 30 Grad – das war doch nicht schon immer so unbeständig, oder? Zum Wetter hat fast jeder eine Meinung und meistens – so behaupten es zumindest viele Menschen – war es früher besser. Doch können wir uns auf unsere Erinnerung an das Wetter vor zehn Jahren oder gar aus unserer Kindheit überhaupt verlassen?
Beate Ratter ist Professorin für Geografie an der Universität Hamburg und forscht am Helmholtz-Zentrum „Hereon“ unter anderem zur Wahrnehmung des Menschen von Natur und Naturereignissen und wie wir Menschen uns an diese anpassen.
Frau Ratter, wie zuverlässig ist das menschliche Wettergedächtnis im Vergleich zu wissenschaftlichen Daten?
Das Wettergedächtnis ist überhaupt nicht zuverlässig. Wir können uns allerhöchstens vage an das Wetter vor einigen Jahren erinnern. Meistens auch nur dann, wenn wir das Wetter von früher mit einem persönlichen Ereignis verknüpfen. Haben wir zum Beispiel eine Erinnerung an einen wunderschönen Urlaub mit warmem Sonnenschein, dann war dieser Sommer plötzlich ein wunderschöner Sommer, auch wenn er nach Wetteraufzeichnung vollkommen durchschnittlich war.
Warum erinnern sich viele Menschen gerne an das schöne Wetter aus ihrer Kindheit zurück?
Das ist eine typische Verzerrung in der Erinnerung. Wenn wir eine positive Kindheit hatten, dann erinnern wir uns generell gerne an schöne Erlebnisse. Man spricht an dieser Stelle von „confirmation bias“, also einem Bestätigungsfehler. Das bedeutet, dass wir dazu tendieren, Informationen so zu interpretieren, dass sie unsere bestehende Meinung bestätigen. Deshalb glauben viele Menschen, dass das Wetter früher schöner war als heute.
Beate Ratter
Forscherin am Helmholtz-Zentrum Hereon
Sie haben eben von einem besonders schönen Sommerurlaub gesprochen: Welche Ereignisse beeinflussen außerdem, wie wir uns an das Wetter erinnern?
Manchmal spielen auch gesellschaftliche Umstände und Medien eine Rolle. Wenn wir vor Weihnachten wochenlang Lieder über weiße Weihnacht hören und Bilder sehen von Weihnachtsmännern, die durch den Schnee stapfen, dann sehnen wir uns nach Schnee an Weihnachten und es fällt negativ auf, wenn keiner kommt – obwohl es statistisch gesehen bei uns sehr selten an Weihnachten schneit. Unsere Wahrnehmung vom Wetter ist immer ein Meinungsbild, das eher von Emotionen und Erlebnissen beeinflusst wird, als dass es auf Fakten beruht.
Ende Juli und Anfang August hat es viel geregnet, jetzt ist es wieder sehr warm: Welche Wetterlagen fallen uns Menschen besonders positiv oder negativ auf?
Hier spielt der Kontext, in dem wir das Wetter wahrnehmen, eine wichtige Rolle: Besonders negativ fällt uns beispielsweise Regen in den Sommerferien auf, weil wir die Vorstellung haben, dass es in den Ferien schön sein muss, damit wir uns erholen können. Wenn wir arbeiten müssen, dann ist Hitze extrem störend.
Glauben Sie, dass sich Menschen dessen bewusst sind, dass ihre Wahrnehmung von Wetter vor allem auf Emotionen basieren?
Nein, das Bewusstsein ist nicht da. Die meisten Menschen machen sich keine Gedanken darüber, wie sie ihre Meinung bilden. Der Bestätigungsfehler ist etwas Psychologisches, das in uns drin ist. Wir haben einen wunderbaren Verdrängungseffekt, dass wir Dinge, die uns stören, schnell vergessen. Den brauchen wir auch, um mit Krisen umzugehen. So verdrängen wir aber auch schlechtes Wetter von früher, es sei denn, es ist mit einem schlimmen einschneidenden Ereignis verknüpft.

Beate Ratter forscht am Helmholtz-Zentrum "Hereon" unter anderem zur Wahrnehmung des Menschen von Natur.
Quelle: privat
Wenn wir uns nicht wirklich auf unsere Erinnerung an das Wetter verlassen können: Was sagen dann die wissenschaftlichen Aufzeichnungen der vergangenen Jahre? War das Wetter früher schöner?
Wetterereignisse haben sich in den vergangenen 50 Jahren stark verändert. Es gibt extrem viele Informationen vonseiten der Wissenschaft, mit denen man die eigene Erinnerung abgleichen kann. Wenn wir also der Meinung sind, dass früher am eigenen Geburtstag immer die Sonne geschienen hat, dann können wir unsere Erinnerung ganz leicht anhand der wissenschaftlichen Datenlage überprüfen.
Es liegt nahe, beim Thema Wetter auch über den Klimawandel zu sprechen: Wie hängt unsere Erinnerung an das Wetter damit zusammen, wie wir den Klimawandel wahrnehmen?
Wetter ist erst mal ein Einzelereignis. Wenn wir es über 30 Jahre hinweg messen, dann wird es zu Klima. Diesen Querschnitt, also die Statistik von Wetterereignissen, können wir nicht fühlen. Um uns das Leben einfacher zu machen, nehmen wir das abstrakte Phänomen des Klimawandels mit einer psychologischen Distanz wahr. Damit distanzieren wir uns auch von dessen Relevanz, Dringlichkeit oder auch der eigenen Verantwortlichkeit. Wir schieben den Klimawandel räumlich weit weg, in ein anderes Land oder in die Zukunft und nehmen an, dass er erst irgendwann mal bei uns spürbar wird. Die Wissenschaft zeigt aber, dass der Klimawandel schon hier ist. Das Verdrängen funktioniert eigentlich nicht mehr. Trotzdem spielt Wettererinnerung eine Rolle in der Wahrnehmung des Klimawandels.
Beate Ratter
Forscherin am Helmholtz-Zentrum Hereon
Welche Rolle wäre das genau?
Einzelereignisse, wie ein besonders trockener Sommer oder eine Sturmflut können helfen uns daran zu erinnern, dass wir uns mit dem Klimawandel auseinandersetzen und uns schützen müssen.
Wie könnte so eine Auseinandersetzung aussehen?
Wir können uns über Wetterereignisse informieren und uns dessen bewusst werden, dass wir uns selbst auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten können. In der Wissenschaft nennt sich das „Klimawandelanpassung“, also die Notwendigkeit, mit den Auswirkungen des stattfindenden Klimawandels umzugehen und Katastrophen vorzubeugen. Wir könnten uns beispielsweise fragen: ‚Wie kann ich mich am besten vor Hitze schützen?‘ Besonders hilfreich ist es, sich mit dem eigenen Umfeld über solche Präventionsmaßnahmen auszutauschen. Wir können zum Beispiel Erfahrungen über eine Solaranlage auf dem Dach oder einen Teich im Garten miteinander teilen oder gemeinsam bei einem Waldspaziergang merken, dass es dort kühler ist als auf einer platten Wiese oder in der Stadt. In Gemeinschaft lassen sich am besten Erinnerungen schaffen, die uns anregen, etwas zu tun, um uns zu schützen.
rnd