Social Media erst ab 13: Experten empfehlen Schutz für psychische Gesundheit

Keine Smartphones mehr in der Schule, Facebook, Instagram und Tiktok erst ab 13 und danach nur mit Kontrollen: Diese und weitere Maßnahmen schlägt eine Expertengruppe der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina vor. Sie seien dringend nötig, um Kinder und Jugendliche zu schützen, heißt es in einem Diskussionspapier der Forschenden, das am Mittwoch auf einer Pressekonferenz präsentiert wurde. Denn es gebe deutliche Hinweise darauf, dass die intensive Social-Media-Nutzung der psychischen Gesundheit junger Menschen schadet.
Silvia Schneider, Professorin für klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Ruhr-Universität Bochum, ist eine der Autorinnen der Veröffentlichung. Bei der Vorstellung des Diskussionspapiers sagte sie, es sei „sehr, sehr auffällig“, dass weltweit ein Anstieg psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zu beobachten sei, der mit der Verbreitung von Social Media in den vergangenen zwanzig Jahren einhergehe.

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„Es gibt immer mehr Ängste und Depressionen“, so Schneider. Zudem drohten die ständigen sozialen Vergleiche im Netz, Essstörungen zu begünstigen. Gleichzeitig sei ein Anstieg der Nutzung und der Nutzungsdauer zu beobachten und ein immer früheres Einstiegs-Alter.
So seien schon Sechsjährige bei Tiktok, obwohl die Nutzung erst ab einem Alter von 13 Jahren gedacht sei. Über 80 Prozent der Jugendlichen verbringen durchschnittlich dreieinhalb Stunden am Tag mit Social Media. Elf Prozent der Jugendlichen in Deutschland zeigen laut dem Diskussionspapier bereits ein suchtähnliches Verhalten: „Wir sehen in den Daten, dass die suchtartige Nutzung ansteigt“, sagte Schneider.
Studien würden „sehr konsistent“ zeigen, dass eine intensive Social-Media-Nutzung mit einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit einhergehe. Die viele Zeit, die Kinder und Jugendliche mit dem Smartphone verbringen, fehle zudem an anderer Stelle. Sie lernten dadurch weniger Bewältigungsstrategien für den Umgang mit Emotionen und andere soziale Grundkompetenzen.
Umgekehrt habe sich gezeigt, dass Kinder und Jugendliche sich schnell besser fühlen, wenn sie weniger Soziale Medien nutzen. Angst- und Depressionssymptome hätten sich dadurch reduziert. Besonders stark sei der Effekt in Studien ausgefallen, wenn man sie gebeten habe, stattdessen Sport zu treiben. Schneider betonte, es gebe einen riesigen Handlungsbedarf: „Wir müssen etwas im Bereich der Suchtprävention tun.“
Die Expertengruppe empfiehlt, Social-Media-Plattformen erst ab dem Alter von 13 Jahren zugänglich zu machen. Dafür sollen Kontrollen eingeführt werden, die mit einem auf EU-Ebene geplanten digitalen Altersnachweis, dem „EUDI-Wallet“, in Zukunft möglich sein sollen. 13- bis 15-Jährige sollen die Plattformen nur mit Zustimmung der Eltern nutzen können. Für 13- bis 17-Jährige sollten sie altersgerecht gestaltet werden. Dazu gehört der Verzicht auf Funktionen, die ein Suchtverhalten befördern – wie Pushnachrichten oder unbegrenzte Scrollfunktionen.
Auch soll es keine personalisierte Werbung in dieser Altersgruppe geben und die Algorithmen sollen so gestaltet werden, dass nur altersgerechte Inhalte angezeigt werden. In Kitas und Schulen sollten Smartphones bis zur zehnten Klasse verboten werden, um „Erfahrungs- und Lebensräume ohne ständige Social-Media-Präsenz“ zu schaffen, wie auf der Pressekonferenz erklärt wurde.
Als begleitende Maßnahme wollen die Expertinnen und Experten die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen stärken und Lehrende und Erziehende schulen, damit sie ein problematisches Nutzungsverhalten eher erkennen. Mit Aufklärungskampagnen soll über die Risiken von Social Media für die psychische Gesundheit informiert und Tipps für eine gesündere Nutzungsweise verbreitet werden.
Geschäftsmodell der Social-Media-Plattformen sei es, die Aufmerksamkeit der Nutzenden in Anspruch zu nehmen, sagte Johannes Buchmann, emeritierter Professor für Informatik und Mathematik und Mitautor der Veröffentlichung, gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Bei Kindern und Jugendlichen sei die Hirnregion des präfrontalen Kortex noch nicht vollständig entwickelt - was ihnen die Selbstkontrolle erschwert. Sie können sich kaum von den um Aufmerksamkeit heischenden Inhalten losreißen. Kinder unter 13 seien klar damit überfordert, weshalb sie besonders zu schützen seien.
Unmittelbar gefährdet sei die psychische Gesundheit dann, wenn es zu einem Suchtverhalten bei der Nutzung oder Vorstufen davon kommt. Aber auch ohne dass eine Sucht vorliegt, schade die übermäßige Social-Media-Nutzung, sagt Buchmann: Dadurch, dass andere Dinge vernachlässigt werden, wie Sport, Hausaufgaben, andere Interessen und soziale Kontakte in der analogen Welt.
Bei der Pressekonferenz kam auch die Frage auf, wie realistisch es ist, dass die Maßnahmen umgesetzt werden. Buchmann verweist auf den Digital Services Act - ein EU-Gesetz, das im Grundsatz ganz ähnliche Anforderungen an die Social-Media-Plattformen stellt, wie nun auch das Leopoldina-Papier. Mit einem großen Unterschied: Die Betreiber der Plattformen sind bisher lediglich dazu angehalten, sich um den Jugendschutz zu bemühen. „Sie sollen sich selbst um die Maßnahmen kümmern, aber das reicht nicht, das ist uns zu schlapp“, sagt Buchmann. „Es müssen Regularien her.“ Technisch seien die geforderten Schutzmaßnahmen in jedem Fall machbar, wenn sie einmal verbindlich beschlossen seien, so Buchmann: „Es ist jetzt nur der politische Wille gefragt, um das auch umzusetzen.“
rnd