Inflation ohne Inflaton: Ein spanischer Wissenschaftler schlägt eine revolutionäre Theorie über den Ursprung des Universums vor.

Es waren Gravitationswellen und nicht hypothetische Teilchen, sogenannte Inflatonen, die für die plötzliche Inflation in den Anfängen des Universums verantwortlich waren. So wie Meereswellen Küstenlinien formen, brachten diese Kräuselungen im Gefüge von Raum und Zeit den neugeborenen Kosmos auf den Weg, der ihn zu dem machte, was wir heute sehen. Eine wahrhaft revolutionäre Idee, die in einem Artikel mit dem Titel „Inflation ohne Inflaton“ auf den Punkt gebracht wurde, der kürzlich in Physical Review Letters von einem Forscherteam unter der Leitung des Spaniers Raúl Jiménez, einem ICREA-Forscher am Institut für Kosmoswissenschaften der Universität Barcelona, in enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Padua in Italien veröffentlicht wurde.
Seit Jahrzehnten ist die Theorie der kosmischen Inflation der Grundstein, der es uns ermöglicht, das Geheimnis der Entstehung des Universums zumindest teilweise zu verstehen. Dieses Modell besagt im Wesentlichen, dass das Universum in seinen frühesten Momenten explosionsartig wuchs und sich in Sekundenbruchteilen mit unvorstellbarer Geschwindigkeit ausdehnte. Ohne diese plötzliche Ausdehnung ließe sich beispielsweise nicht erklären, warum die Durchschnittstemperatur des Universums und die Materieverteilung darin trotz der unglaublichen Entfernungen einheitlich, also überall gleich, sind. Diese Regionen hätten diese Eigenschaften niemals „teilen“ können, wenn sie nicht zuvor miteinander in Kontakt gestanden hätten. Das heißt, wenn sich nicht eine kleine Region, die von Anfang an einheitlich und im thermischen Gleichgewicht war, schnell ausgedehnt hätte und das gesamte Universum umfasst hätte. Diese Art der kosmischen „Ausdehnung“, so die Theorie, ebnete den Weg für die Entstehung all dessen, was wir heute sehen.
Trotz ihres Erfolgs hat die Theorie der kosmischen Inflation jedoch eine Achillesferse, die Physikern durchaus bekannt ist: ihre übermäßige Abhängigkeit von veränderbaren Parametern. Anders ausgedrückt: Inflation in ihrer am weitesten verbreiteten Formulierung setzt die Existenz eines hypothetischen Feldes, des Inflatons, voraus, für das es keine experimentellen Belege gibt. Damit das Modell mit Beobachtungen übereinstimmt, müssen zudem zahlreiche Parameter „optimiert“ und angepasst werden, was für viele Wissenschaftler ein Problem darstellt.
In der Welt der Wissenschaft gilt ein Modell als robuster, je weniger Manipulationen erforderlich sind, um zu funktionieren. Umgekehrt ähnelt ein Modell, das perfekt zu den Daten passt, aber erst nach der Anpassung tausender Variablen, eher einem Maßanzug als einem universellen Naturgesetz.
Und hier kommt die kühne neue Idee von Raúl Jiménez und seinen Kollegen ins Spiel. Ihre Theorie benötigt weder das Inflaton noch andere exotische Zutaten, um zu funktionieren. Stattdessen geht sie davon aus, dass die Quantenfluktuationen der Raumzeit selbst in Form von Gravitationswellen ausreichten, um die Saat für die kosmischen Strukturen zu legen, die wir heute sehen. Es ist eine elegante und minimalistische Idee, die nur zwei wesentliche Zutaten verwendet: Gravitation und Quantenmechanik.
In einem sich schnell ausdehnenden Universum – ein Konzept, das perfekt zu dem passt, was wir heute aufgrund der Wirkung der dunklen Energie beobachten – treten diese winzigen Schwingungen des „Nichts“ ständig auf und sind ganz natürlich. Diese Schwankungen manifestieren sich als Gravitationswellen, die sich ausbreiten, kollidieren und interagieren.
Durch komplexe Berechnungen konnte Jiménez' Team in seiner Studie nachweisen, dass diese winzigen Gravitationswellen durch ihre Wechselwirkung die für die Schwerkraft notwendigen Dichteschwankungen erzeugen und so die uns bekannten Strukturen entstehen lassen können. Das Ergebnis ist ein Modell, das ein Spektrum von Störungen (Dichteunterschieden) erzeugt, das mit den Beobachtungen der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung, dem Echo des Urknalls, übereinstimmt. Und das, ohne dass neue Teilchen postuliert werden müssen. Wie Jiménez selbst betont: „Wir zeigen, dass Gravitation und Quantenmechanik möglicherweise ausreichen, um die Entstehung der Struktur des Kosmos zu erklären.“
Der Vorschlag von Jiménez und seinem Team ist zwar nicht die einzige Alternative (es gibt unter anderem die String-Kosmologie, den Big Bounce und die Schleifen-Quantengravitation), besticht aber durch seine Einfachheit und vor allem durch seine Überprüfbarkeit. Wie Jiménez selbst betont, „ist Wissenschaft im besten Fall die Fähigkeit, klare Vorhersagen zu treffen, die durch zukünftige Beobachtungen bestätigt oder widerlegt werden können.“
Natürlich macht auch die „klassische“ Inflationstheorie Vorhersagen, doch diese sind schwer zu überprüfen, da ihre eigene Flexibilität und Anpassungsfähigkeit dagegen sprechen. Der neue Vorschlag ist jedoch deutlich restriktiver. Und wenn er zutrifft, sollten wir ihn mit den nächsten Generationen von Teleskopen und Experimenten, die derzeit im Bau sind, testen können. Der Schlüssel liegt in der Fähigkeit, die sogenannten „primordialen“ Gravitationswellen nachzuweisen, was bisher noch nicht gelungen ist.
Tatsächlich erfassen aktuelle Gravitationswellendetektoren wie LIGO und Virgo sehr grobe Wellen, die von extrem heftigen Ereignissen wie der Kollision Schwarzer Löcher oder der Explosion von Sternen herrühren. Der „Fingerabdruck“ der primordialen Gravitationswellen, auf denen Jiménez' Modell basiert, wäre jedoch viel subtiler, hätte eine viel niedrigere Frequenz und wäre außerhalb der Reichweite aktueller Instrumente. Dies könnten zukünftige Projekte wie das Weltraumteleskop LISA oder die Suche nach Gravitationswellen durch die Beobachtung von Pulsaren klären und so die faszinierende Idee des spanischen Wissenschaftlers bestätigen oder widerlegen.
Sollte sich Jiménez' Theorie letztlich bestätigen, würde sie uns nicht nur einen eleganteren Blick auf die Entstehung des Kosmos ermöglichen, sondern auch ein neues Kapitel in unserem Verständnis seiner frühesten Existenz aufschlagen. Sie würde uns zeigen, dass die Antwort manchmal nicht im Exotischen und Unerforschten liegt, sondern in den Tiefen der uns bereits bekannten Physik. Eine wahre Lektion in Demut und ein Beweis für die innere Schönheit des Universums.
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