Titanic-Ausstellung in Hamburg: Wie modern kann ein Museum sein?

Hamburg. „Willkommen an Bord“. Es sind die ersten Worte, die jeder Besucher und jede Besucherin der Ausstellung liest. Auf dem Schild am Eingang lächelt der Kapitän der Titanic, Edward John Smith freundlich. Im Hintergrund vermischen sich das durch Lautsprecher schallende Jauchzen der Möwen und klassische Musik. Dazu die murmelnden Stimmen der anderen Besucher.
Obwohl man erst etwas später in dieser Titanic-Ausstellung das Gefühl bekommt, an Bord zu gehen, vermittelt der Eingangsbereich doch bereits ein Ziel der folgenden Ausstellung: Die Besucher hier sollen nicht nur etwas über das berühmte Schiff „Titanic“ erfahren, das im April 1912 bei einer Atlantik-Überquerung mit einem Eisberg zusammenstieß und sank. Sie sollen sich fühlen, als wären sie live dabei.

Die Ausstellung kombiniert klassische Elemente und Exponate mit modernen Methoden wie Virtuelle Realität.
Quelle: IMAGO/Future Image
Die Ausstellung nennt sich „Titanic: Eine immersive Reise“ und läuft noch bis Mitte September in einer Messehalle am Hamburger Hafen. Zuvor gastierte die Schau zum Beispiel in Mailand oder den USA. Wie der Name vermuten lässt, setzt die Ausstellung auf moderne Methoden, wie immersive Räume und virtuelle Realität.
In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr Museen für diese Methode entschieden, um neue Zielgruppen zu erreichen – ein internationaler Trend, der oft beachtliche Erfolge erzielt. Während moderne Formate wachsen, tun sich manche klassische Häuser wie die Tate Modern in London, die 2024 noch rund 25 Prozent unter ihrem Besuchsniveau von 2019 lag, schwer, wieder an frühere Zahlen anzuknüpfen. Befürworter des Trends betonen den einfachen Zugang, Inklusion und neue Erzählformen. Kritiker hingegen warnen vor Eventisierung, Oberflächlichkeit, hohen Kosten und dem Verlust des Originals.
Einen Tag auf der Titanic hautnah miterleben? Das verspricht zumindest die Ausstellung "Titanic - eine immersive Reise" in Hamburg.
Quelle: Timm Ottenberg
Unterstützt wird sie vom Deutschen Titanic Verein und dessen Vorsitzenden Malte Fiebing-Petersen, der als einer der führenden deutschen Titanic-Experten gilt. Eine gute Ausstellung hat für ihn gewisse Kriterien: „Eine coole Ausstellung ist für mich zum einen ein Stück weit interaktiv, geht auch auf die emotionale Ebene ein und erlaubt zum anderen jedem Besucher, sich so intensiv mit der Materie auseinanderzusetzen, wie er es in dem Moment kann oder möchte“, sagt Fiebing-Petersen. Durch eine Ausstellung könnten das die Besucherinnen und Besucher deutlich besser tun, als zum Beispiel vor dem Fernseher mit einer Doku: „Eine Doku ist – salopp gesagt – eine eindimensionale Berieselung. Eine Ausstellung dagegen bietet ein immersives Erlebnis“, sagt der Titanic-Experte.
Zu Beginn wirkt die Ausstellung noch eher klassisch: Infotafeln, Vitrinen mit Kleidung, Werkzeugen und alte Fotos. Wer möchte, kann zusätzlich eine Begleitung per Audio-Guide bekommen. Die Räume sind mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Aber der Einstieg wirkt insgesamt wenig überraschend.
Das ändert sich ein paar Räume später. Über eine Holzbrücke durchschreitet man wie ein echter Passagier einen Nachbau der Fassade des Schiffes. Im Hintergrund läuft leichte Klaviermusik, als man einen langen Flur betritt. Die Spiegel am Ende des Raumes lassen den Flur mit seinem gemusterten Fliesenboden und den Holzwänden unendlich lang wirken. Hier wird die Illusion des Schiffes das erste Mal greifbar. Es entsteht das Gefühl, dass man nicht nur ein Gast in einem Museum ist, sondern ein Passagier auf der echten Titanic.

In der Ausstellung sind einige Räume der Titanic detailreich nachgebaut.
Quelle: Timm Ottenberg
Dieser Eindruck wird auch auf andere Weise erzeugt: Wie ein echter Passagier erhält auch jeder Gast beim Eintritt eine Bordkarte. Darauf: ein Name, die Herkunft und die Klasse einer echten Person, die damals an Bord war. Am Ende der Ausstellung erfährt man, ob sie den Untergang überlebt hat. Die Idee funktioniert. „Man hat eben dieses Erleben auch durch dieses Ticket mit dieser Person, mit der man sich identifizieren kann“, erklärt Fiebing-Petersen.
Die Räume wechseln zwischen den aufwendigen Illusionen und dem klassischen Museumsaufbau. Immer wieder taucht man ab – in eine nachgebaute Kabine, einen Speisesaal, ein Treppenhaus. Und immer wieder geht’s zurück in Räume mit Exponaten hinter Glas. Diese Mischung funktioniert nicht immer reibungslos. Manche Wechsel reißen einen fast komplett raus, andere sind gut gemacht und erhalten die Illusion besser aufrecht.

Durch die immersiven Elemente können die Besucherinnen und Besucher immer wieder die Fahrt auf der Titanic nachempfinden.
Quelle: picture alliance / NurPhoto
Ein Highlight ist der sogenannte immersive Raum. Immersive Räume sind Umgebungen, die so gestaltet sind, dass man das Gefühl hat, vollständig in eine andere Welt einzutauchen.
Zum immersiven Raum der Ausstellung gelangt man durch einen dunklen Gang mit einem Gittertor, wie ihn Fans auch aus James Camerons berühmten Hollywood-Film kennen. Der Boden wirkt durch das aufgemalte Wasser feucht, Wellen rauschen hinter dem Gitter auf den Besucher zu. Der Gedanke festigt sich: Man ist gerade mittendrin in der Katastrophe. Dann öffnet sich ein großer Raum. In der Mitte: ein Rettungsboot, Kisten. Drumherum: eine 360-Grad-Videowand.

Im Immersiven Räum können die Besucherinnen und Besucher den Untergang miterleben.
Quelle: IMAGO/NurPhoto
Auf dieser erlebt man den Untergang der Titanic. Der Raum ist dunkel, kalt, die Atmosphäre wirkt angespannt. Originale Funksprüche aus der Nacht mischen sich mit Musik, Stimmen, Wassergeräuschen. Die Besucherinnen und Besucher schauen gebannt auf die Videoleinwand. Manche wirken sichtlich bewegt. Die Ausstellung erreicht genau hier ihren stärksten Moment, vor allem auf emotionaler Ebene. „Gerade dieser Raum mit dem Rettungsboot, wo man dann in diesem 1 zu 1 Nachbau sitzt – das war für mich wirklich ein sehr, sehr ergreifender Moment“, sagt auch Fiebing-Petersen.
Ein paar Räume später endet die Ausstellung – ganz ohne technische Überraschungen. Im letzten Raum findet man einen blau beleuchteten Glaskasten. Darauf die Namen der Passagiere – sortiert nach Klasse und nach Schicksal: gerettet oder gestorben. Hier kommen die Bordkarten vom Anfang der Ausstellung ins Spiel, ein Kreis schließt sich. Mithilfe des Namens und seiner Klasse können die Besucher und Besucherinnen ihren Passagier wiederfinden. Egal, welches Schicksal der „eigene“ Passagier hatte, es trifft emotional: „Man geht da jetzt nicht happy raus. Das finde ich auch gut, weil es soll schon betroffen machen“, sagt Fiebing-Petersen.
Wer will, kann nach der Ausstellung noch einen VR-Raum dazu buchen. Mit einer Brille auf dem Kopf wird man durch eine animierte Version der Titanic geführt. Man schwebt durch das Schiff und sein Wrack, durchquert einzelne Räume und blickt auf den Ozean. Manchmal wackeln sogar die Knie – besonders bei schwebenden Bewegungen oder engen Gängen.
Aber auch hier läuft nicht alles perfekt: Die Akkustände der Brille sind im Sichtfeld, die eigenen Füße fehlen und die in der Brille sichtbaren Umrisse der anderen Gäste im Raum wirken künstlich und stören die Illusion. Wer nicht schwindelfrei ist, sollte den Bereich also vorsichtig angehen. Als modernes Mittel, die Geschichte zu erzählen, funktioniert die virtuelle Realität aber überraschend gut.
Die Ausstellung will nach eigenem Anspruch mehr sein als ein gewöhnliches Museum. Dafür versucht sie viel. Nicht alles davon klappt. Oft gelingt es, die Verbindung zwischen der Geschichte und den erzeugten Emotionen zu erzeugen. Manchmal hakt es aber auch etwas. Der Ansatz ist nicht perfekt, aber spannend.
„Die Ausstellung ist ja nicht so ganz klassisch museal aufgezogen, sondern es geht um dieses Erleben. Die Idee war, eine möglichst breite Masse abzuholen“, erklärt Fiebing-Petersen. Dieses Erleben kommt gerade bei der Verwendung der neuen Methoden sehr gut zur Geltung. Es zeigt sich: Museen können mehr sein als Ausstellungsstücke hinter Vitrinen. Wer sich davon überzeugen will, ist beim Titanic-Museum richtig.
rnd