Sie war eine Ikone der Gen Z: wie Sydney Sweeney zu einer der umstrittensten Frauen Hollywoods wurde


Es war die perfekte Provokation in einem gespaltenen Land: Sydney Sweeney hat «good jeans», was auf Englisch gleich klingt wie «gute Gene». Mit diesem Wortspiel in einem Werbespot für American Eagle entfachte sich an der weissen, blonden und blauäugigen Schauspielerin eine Debatte: Propagiert der Jeanshersteller damit etwa die weisse Vorherrschaft? Oder ist es – wie die Marke betont – tatsächlich immer nur um Jeans gegangen?
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Der Werbespot machte die 27-jährige Sydney Sweeney zur Projektionsfläche, und zwar für beide Seiten. Linke Kreise sahen sich damit an Nazipropaganda erinnert. Konservative hingegen lobten ihn als flammendes Statement gegen die Wokeness: Vizepräsident J. D. Vance nannte Sweeney eine «all-American beautiful woman», und Präsident Donald Trump bezeichnete den Clip auf Truth Social als die «heisseste Werbung da draussen». Der konservative Sender Fox News widmete der Kontroverse nicht weniger als 85 Minuten Sendezeit.
Die Unterstützung bis in die obersten Ränge der Republikaner ist kein Zufall: Vor wenigen Tagen wurde publik, dass Sydney Sweeney seit Juni 2024 als Republikanerin in Florida registriert ist. Und es ist nicht das erste Mal, dass Sweeney die Nähe zur konservativen Partei nachgesagt wird.
Bis vor wenigen Wochen war Sydney Sweeney noch bekannt als aufstrebende Schauspielerin, wurde in US-Medien als «America’s Sweetheart» betitelt und diente der Gen Z als Ikone. Nun ist sie innert kürzester Zeit zu einer der polarisierendsten Frauen in Hollywood geworden.
Ist sie das Opfer einer linken Kampagne? Oder war es berechnete Provokation? Es wäre nicht das erste Mal.
Sydney Sweeney, das Anti-Nepo-BabyWann immer Sydney Sweeney von ihrer Kindheit erzählt, betont sie: Sie sei kein Nepo-Baby, habe also keine reichen Eltern und habe sich alles selbst erarbeitet. Es ist jenes Bild, das die Schauspielerin bei praktisch jedem Gespräch von sich zeichnet und bei jeder passenden Gelegenheit platziert: das einer hart arbeitenden Frau, der im Leben nichts geschenkt wurde. Eine, die in ihrer Jugend unter dem mangelnden Geld gelitten hat und nun getrieben ist von der Angst, alles wieder zu verlieren.
Sydney Sweeney wuchs mit einem jüngeren Bruder im Nordwesten der USA auf, an der Grenze zwischen den Staaten Washington und Idaho. Ihre Mutter war einst Strafverteidigerin, hatte ihren Job aber für ihre Kinder aufgegeben. Der Vater arbeitete im Gastgewerbe.
Sweeney besuchte eine Privatschule, dies sei jedoch nur mit finanzieller Unterstützung möglich gewesen, sagte sie dem «Hollywood Reporter». Sie berichtet dort von einer idyllischen Kindheit: Fernsehen habe sie kaum geschaut, stattdessen habe sie unersättlich gelesen und fast jede Aktivität ausprobiert, die sich ihr geboten habe: von Fussball über Skifahren bis zum Mathe-Klub.
Ihre Eltern seien streng gewesen, doch rebelliert habe sie nie. Sie sei nie auf Partys gegangen, sie habe lieber gelernt – und sich als Fahrerin für ihre Freunde um 3 Uhr morgens zur Verfügung gestellt. Bis heute trinke sie am liebsten Wasser. Wenn es etwas Besonderes zu feiern gebe, gönne sie sich einen «Shirley Temple»-Cocktail, und Kaffee habe sie noch nicht einmal probiert.
Es ist wie bei allem, was über Sweeneys Privatleben bekannt ist: Man weiss nur, was sie bewusst preisgeben will.
Wann dieses strebsame und geradezu brave Mädchen davon zu träumen begann, Schauspielerin zu werden, daran erinnert sich Sweeney nicht mehr. Bloss: Ihren Eltern habe sie eine Präsentation vorgetragen – mit einem Fünf-Jahres-Businessplan, um Schauspielerin zu werden. Dann würde sich der Erfolg bezahlt machen. Je nachdem, wem sie die Geschichte erzählt, war sie damals 11, 12 oder 13 Jahre alt.
Sydney Sweeneys Familie lebte im MotelIhre Eltern hat sie anscheinend überzeugt: Die Familie verkaufte ihr Haus und zog nach Los Angeles. Doch Sydneys Durchbruch kam nicht. Sie sei damals an fünf bis zehn Castings pro Woche gegangen und habe keinen einzigen Rückruf erhalten. Als das Geld immer knapper wurde, zog die Familie in ein Motel: «Wir lebten in einem Raum. Meine Mutter und ich teilten uns ein Bett, und mein Vater und mein Bruder teilten sich die Couch», erzählt sie gegenüber «Variety».
Es ist eine Zeit, die Sydney Sweeney prägt. Und auch ihre Familie: Ihre Eltern trennten sich. Sie werde sich immer dafür verantwortlich fühlen, erklärte Sweeney später «Variety». «Meine Eltern opferten viel für meinen Traum», sagt sie. «Ich spürte eine Verantwortung, ihnen zu zeigen, dass es das wert war.»
Als Sweeney 18 Jahre alt war und laut ihrer Präsentation bereits erfolgreich sein sollte, hatte sie bloss 800 Dollar in der Tasche und nahm jeden schlechtbezahlten Job an, um ihre Eltern glauben zu machen, dass es sich gelohnt habe. Kleinere Rollen in Serien wie «Criminal Minds» und «Grey’s Anatomy» liessen sie hoffen, es doch noch zu schaffen. «Ich glaubte, wenn ich genug Geld verdienen würde, könnte ich das Haus meiner Eltern zurückkaufen, und sie würden wieder zusammenkommen.»
Der Wendepunkt kam, als Sydney Sweeney 21 Jahre alt war. 2018 erhielt sie eine Hauptrolle in der Netflix-Miniserie «Everything Sucks!» sowie in der Serie «Sharp Objects» auf HBO. Im selben Jahr folgt eine Rolle in der Dystopie «The Handmaid’s Tale». Nun war Sydney Sweeney in Hollywood angekommen.
2019 folgte der grosse Durchbruch als Cassie in der Dramaserie «Euphoria»: eine junge, impulsive Frau mit Hang zur Selbstzerstörung, die immer wieder Anerkennung von Männern sucht. Die Rolle bringt Sydney Sweeney nicht nur internationale Bekanntheit, die zahlreichen expliziten Szenen der Serie machen sie auch zu einem Sexsymbol der Gen Z.
Nach «Euphoria» ist Sydney Sweeney überall zu sehen: Sie spielt ein Mitglied der Manson Family in Quentin Tarantinos «Once Upon a Time In Hollywood» und eine verwöhnte Tochter in der Kultserie «White Lotus». Sweeney arbeitet unermüdlich – selbst nun, da der Erfolg längst eingetreten ist. Mit erst 27 Jahren wirkte sie schon in mehr als vierzig Filmen und Serien mit.
Bedient Sydney Sweeney den «male gaze»?Mit dem Ruhm kam aber auch die Kritik: Sydney Sweeney bediene mit ihren Rollen den «male gaze», also den männlichen Blick und seine Begierde – etwa mit den expliziten Szenen in «Euphoria». Sie lasse sich damit auf ihren Körper reduzieren.
Ausgerechnet Sweeney beklagte zu Beginn ihrer Karriere mehrfach, sexualisiert worden zu sein, auch im Zusammenhang mit «Euphoria». Sie sei sehr stolz auf ihre Arbeit in der Serie, aber alle redeten nur darüber, dass sie dort nackt zu sehen sei. Gleichzeitig betonte Sweeney, wie wichtig die Sexszenen seien – schliesslich wisse ihre Rolle Cassie nicht, wie man kommuniziere, ohne seinen Körper zu brauchen.
Die Vermischung zwischen ihr und den Charakteren bei den Fans habe dazu geführt, dass sie sich immer mehr von ihren eigenen Rollen abgegrenzt habe, sagte sie 2021 dem «Guardian». Sie führe akribisch Buch über ihre Charaktere, um ihre eigenen Erinnerungen und ihr Privatleben nicht mit ihren Rollen zu vermischen.
«Ich gebe Syd nicht wirklich preis», sagt sie, und fügt an: «Niemand kennt Syd wirklich.» Gegenüber «Variety» sagt sie: Hollywood habe sie gelehrt, nie auf Gerede zu reagieren. Daran hält sich Sweeney eisern.
Nur zweimal schien Sydney Sweeney damit zu brechen. Im Mai 2021 zeigte sie sich weinend auf Instagram, nachdem sie böse Kommentare über ihr Aussehen gelesen hatte. Mit zittriger Stimme sagt sie: «Ich mache so etwas eigentlich nie, aber ich denke, es ist wichtig, dass die Leute sehen, wie Worte einen treffen können.»
Ein anderes Mal liess sie sich zu einer Richtigstellung hinreissen, als 2023 mehrere Fotos einer Feier auftauchten, die Sweeney für den 60. Geburtstag ihrer Mutter organisierte. Sie zeigten Gäste mit Kappen im Maga-Stil («Make Sixty Great Again») und Fahnen von «Blue Lives Matter», einer Gegenbewegung der «Black Lives Matter»-Proteste. Sweeney betonte, dass die Bilder nicht ihre Familie zeigten und es «so viele Missverständnisse gegeben» habe. Von der Republikanischen Partei distanzierte sie sich hingegen nicht.
Sydney Sweeney, die GeschäftsfrauVielleicht war es die fehlende Kontrolle, vielleicht die Angst vor dem erneuten Abstieg: Doch Sydney Sweeney wollte sich nicht auf ihre Schauspielkarriere verlassen. Zumal sie sich bis heute als «Aussenseiterin» in Hollywood sieht.
Sie beginnt früh, Werbe-Deals mit Marken anzunehmen. Nicht, weil sie das wolle, sondern weil sie ihr Leben in Los Angeles ohne sie nicht finanzieren könne, sagt sie. Ausserdem schliesst sie ein Entrepreneurship-Studium an der University of California ab. «Wenn ich einen Vertrag für 20 Millionen Dollar erhalte, will ich ihn lesen können und nicht verarscht werden», erklärte sie.
2020 gründete sie ihre eigene Produktionsfirma namens Fifty-Fifty. Das selbsterklärte Ziel: Filme und Serien mit weiblichen Hauptrollen zu fördern. Über ihre Rolle als Geschäftsfrau sagt sie: «Ich bin immer vorbereitet, ich weiss, wovon ich rede, und ich habe sehr hart gearbeitet.» Da ist sie wieder, die Erzählung, die Sweeney bei jeder Gelegenheit platziert.
Auch andere bestätigen dieses Narrativ, zum Beispiel Jessica Goodman, deren Roman «They Wish They Were Us» Sweeneys Produktionsfirma verfilmte. Sie sagte einst: «Mir war sofort klar, dass Sidney sich sehr bewusst ist, wie sie in der Welt angesehen wird, und dass sie die Verantwortung für ihre eigene Karriere übernehmen will.»
Bei der romantischen Komödie «Anyone But You» spielte Sweeney 2023 erstmals gleichzeitig die Hauptrolle und agierte als Produzentin. Auch der Regisseur Will Gluck attestierte ihr eine ausserordentliche Arbeitsmoral: «Sie hat das Set nie verlassen. (. . .) Ihre Superkraft ist, dass sie nicht schläft. Zwei Stunden pro Nacht.»
Werbespots zielen auf heterosexuelle MännerDas Image der arbeitsamen Geschäftsfrau aber ist nicht das Einzige, was Sweeney bewusst in die Öffentlichkeit trägt. Sweeney weiss um ihre Aussenwirkung. Und sosehr sie sich einst daran gestört haben mag, auf ihr Äusseres reduziert zu werden, so sehr spielt sie nun selbst immer wieder damit. In einem Interview mit «Glamour» sagte sie: «Das grösste Missverständnis über mich ist, dass ich eine dumme Blondine mit grossen Brüsten bin. Dabei bin ich eigentlich brünett.»
Dasselbe Prinzip wendet Sweeney bei Werbespots an. Sie zielen meist auf das immergleiche Publikum: heterosexuelle Männer. Und sie haben in der Vergangenheit schon mehrfach für Aufregung gesorgt.
Für eine Schuhmarke stieg sie einst in Bond-Girl-Manier mit Badekleid und Cowboyhut aus dem Meer. Dass es dabei um Schuhe ging, konnte man nur erahnen. In einer anderen Werbung für ein Duschgel sagte sie: «Seien wir ehrlich, Typen wollen nur das eine . . . ein natürliches Duschgel.» Im Mai dieses Jahres sass sie für dieselbe Marke scheinbar nackt in einer Badewanne und flüsterte lasziv in die Kamera: «Hello, you dirty, little boy. Are you interested in my body . . . wash?»
Sydney Sweeney sagte in einem Interview mit «E-News», sie habe das Konzept des Duschgel-Werbespots selbst eingebracht. Man kann Sweeney eine gewisse Bequemlichkeit vorwerfen, stets ihre äusseren Reize zu bespielen, jedoch nicht, dass sie nicht weiss, was sie tut.
Dasselbe dürfte für die Jeans-Werbung gelten, auch wenn es diesmal um weit mehr als die Vermarktung ihres Körpers geht. Sydney Sweeney hat weder die Debatte noch ihre Parteizugehörigkeit kommentiert. Die kurzzeitige Aufregung über die Werbung dürfte sie nicht weiter kümmern, im Gegenteil. Sie macht es wie immer: Sie lässt die Leute reden – und schweigt.
Sie hat gelernt: Meist zahlt es sich für Sydney Sweeney aus, zu provozieren. Und die echte Syd nie ganz preiszugeben.
nzz.ch