Aussicht kostet jetzt 5 Euro: Neue Wandergebühr in Südtirol sorgt für Wirbel


Vier Landwirte sperren mit einem fünf Euro teuren Drehkreuz den Zugang zum berühmten Wanderweg Seceda in den Dolomiten – aus Protest gegen Massentourismus, Müll und Respektlosigkeit. Behörden und Tourismusverband sprechen von illegaler Abzocke.
Wer den Panoramaweg „Seceda“ in den Südtiroler Dolomiten entlanggeht, stößt seit Juli auf eine unerwartete Barriere: ein Drehkreuz. Dahinter liegt einer der begehrtesten Fotospots der Region – der Gipfelzugang mit Blick auf die ikonischen Bergspitzen. Wer hindurch will, zahlt fünf Euro – Anwohner und Kinder ausgenommen.
„Unser Ruf war ein Hilferuf“, erklärt Landwirt Georg Rabanser in der „Südtiroler Zeitung". „Das Land muss verstehen, dass die Liftbetreiber zwar ein Vermögen mit dem Touristenansturm verdienen, wir aber die Kosten und Schäden tragen müssen. Dazu kommen der zurückgelassene Müll und die von Horden unhöflicher Touristen ruinierten Rasenflächen.“
Laut „Tagesspiegel" besuchen an Spitzentagen bis zu 6000 Menschen den beliebten Spot – ein Ansturm, der nicht zuletzt durch Instagram-Posts, YouTube-Videos und Reiseblogs angeheizt wird. Die Seilbahnunternehmen planen sogar, ihre Kapazität von 800 auf 2360 Personen pro Stunde zu erhöhen.
Für die Landwirte, die direkt an der Route wohnen, ist das ein Schreckensszenario. Sie berichten von gestörtem Vieh, zertrampelten Wiesen und Touristen, die sich wenig um Wegeregeln kümmern. „Wir sind es leid, aufzuräumen, während andere den großen Reibach machen, ohne einen Finger zu rühren“, sagt Rabanser dem „Tagesspiegel".
Die Seceda ist nicht der einzige Hotspot, der unter Massenandrang leidet. Orte wie die Drei Zinnen oder der Pragser Wildsee erleben seit Jahren ähnlichen Druck. Die italienische Zeitung „Corriere della Sera" berichtet, dass zwischen dem 21. Juni und dem 23. Juli allein in den italienischen Alpen mindestens 83 Menschen ums Leben kamen – im Schnitt fast drei pro Tag.
„Ich kann mich an keinen Sommer wie diesen erinnern“, so Maurizio Dellantonio, Leiter des nationalen Berg- und Höhlenrettungsdienstes im Gespräch mit „Corriere della Sera". Er macht vor allem schlechte Vorbereitung und Selbstüberschätzung verantwortlich: „Viele kennen ihre Grenzen nicht.“
Tourismusforscher Thomas Bausch von der Hochschule München warnt im „Tagesspiegel" vor einer Illusion, die soziale Medien befeuern: „In sozialen Netzwerken entstehen über Nacht neue Instagram-Hotspots – eine gezielte Steuerung ist da kurzfristig kaum machbar.“ Influencer würden anspruchsvolle Touren häufig als leichte Ausflüge darstellen, was bei Followern ein falsches Sicherheitsgefühl erzeuge.
Der örtliche Tourismusverband „APT" sieht die Inbetriebnahme des Drehkreuzes kritisch. „Die Lage hat sich deutlich verbessert. Und selbst das Müllproblem ist nicht so gravierend, wie viele behaupten“, sagte Präsident Lukas Demetz in der „Südtiroler Zeitung". Er zweifelt zudem an der Rechtsgrundlage für die Erhebung einer Maut und wirft den Eigentümern vor: „Die Wahrheit ist, dass die Eigentümer nur Geld machen wollen.“
Auch politisch sorgt das Thema für Diskussionen. Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) erklärte im ORF, die Zutrittsbeschränkung sei nicht rechtmäßig: „Dann könnte jeder einen Pfosten aufstellen, wo es ihm gefällt.“
Tourismus-Landesrat Luis Walcher pflichtete bei: „Ich halte von einem Drehkreuz überhaupt nichts, weil dafür braucht es wie für viele andere Dinge im Leben einen Bautitel.“ Dieser liege nicht vor, weshalb nun die Gemeinde St. Christina in Gröden prüft, ob sie einschreiten muss.
Das Drehkreuz ist längst mehr als nur eine Metallbarriere – es ist zum Symbol für die Debatte um den Massentourismus in den Alpen geworden. Laut „Tagesspiegel" verzeichnete Südtirol 2023 bei nur 540.000 Einwohnern fast neun Millionen Ankünfte und 37 Millionen Übernachtungen, etwa die Hälfte der Gäste aus Deutschland.
Tourismusforscher Bausch betont: „Steuerungsmaßnahmen und Zugangsbeschränkungen setzen ein gemeinsames Verständnis voraus, was das richtige Maß ist. Dieses fehlt nicht nur in Südtirol, sondern an fast allen Standorten der Erde mit großem Touristenandrang.“
Seilbahnbesitzer Lukas Obletter kann die Frustration der Landwirte nachvollziehen, sieht aber andere Prioritäten: „Die Gemeinde hat es nicht für richtig gehalten, die Parkplätze zu erhöhen und die Straßen irgendwie größer und besser zu machen", so Obletter im „ORF". Statt Drehkreuzen brauche es aus seiner Sicht mehr Infrastruktur. Ob das fünf Euro teure Gatter bleibt oder verschwindet, ist unklar – sicher ist nur, dass es eine Debatte ausgelöst hat, die Südtirol noch lange beschäftigen dürfte.
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