Neue Bürgergeld-Studie: "Für viele Kinder aus armen Familien ist der Lebensweg schon vorgezeichnet"

Gut die Hälfte bürgergeldempfangender Eltern verzichtet für ihre Kinder auf Essen, jedes fünfte Kind wächst in Armut auf, Millionen "Aufstocker" brauchen trotz Arbeit staatliche Hilfe. Und: Von Armut Betroffene werden ausgegrenzt und stigmatisiert. Das ergab jetzt eine neue Studie zum Bürgergeld von Sanktionsfrei e.V. Im BRIGITTE-Interview erklärt Geschäftsführerin und Bürgergeld-Expertin Helena Steinhaus, was sich ändern sollte:
"Friedrich Merz klingt in seiner Rhetorik immer so, als wären Bürgergeldbeziehende alle selbst schuld, faul und hätten mehr als genug und würden sich deswegen bequem machen", sagt Helena Steinhaus zu BRIGITTE. "Alles davon ist falsch. Das weiß er auch, aber seine Politik zielt allein darauf ab, billige Arbeitskräfte zu liefern", so die Expertin. "Dafür muss das Bürgergeld natürlich so schlecht wie möglich ausgestattet werden. Aber: Ein gut ausgestattetes Bürgergeld stärkt nicht nur Menschen in Not, sondern auch Arbeitnehmer:innen, weil es ihre Verhandlungsposition verbessert. Ein System, das Existenzangst schürt, drückt Löhne und befeuert Ausbeutung. Wer Arbeitsmarktpolitik ernst meint, muss soziale Sicherheit ausbauen – nicht kürzen."
2. Stellt Armutsbetroffene nicht unter Generalverdacht"Nur jede zehnte Person im Leistungsbezug fühlt sich als Teil der Gesellschaft – stattdessen überwiegen Scham, Isolation und das Gefühl, nicht dazuzugehören", sagt Helena Steinhaus zu BRIGITTE. "Trotzdem werden immer wieder falsche Klischees vom "faulen Sozialschmarotzer" bedient. Bärbel Bas habe noch weiter Öl ins Feuer gegossen, als sie davon sprach, gegen den organisierten Missbrauch von Sozialleistungen vorzugehen und diese 'mafiösen Strukturen' zerschlagen zu wollen." Fakt ist, dass es keine Datengrundlage für strukturellen Sozialmissbrauch gibt. Die neue Bürgergeld-Studie von "Sanktionsfrei" aber zeigt: "Die große Mehrheit will arbeiten, kann es aber unter den aktuellen Bedingungen nicht", so Steinhaus. "Wer an der Spitze des Bundestags steht, sollte nicht nach unten treten, sondern für soziale Gerechtigkeit einstehen. Eine Arbeitsministerin sollte die Menschen in den Mittelpunkt stellen! Schluss mit Schuldumkehr und Entmenschlichung!"
3. Familien brauchen Existenzsicherheit. Niemand soll hungern oder sich für Armut schämen müssenDie Hälfte der Menschen in Bedarfsgemeinschaften wird nicht satt. Über 50 Prozent der Eltern verzichten auf Essen, damit ihre Kinder genug haben. 28 Prozent leben in ständiger Angst vor Obdachlosigkeit. Das hat die neue Bürgergeld-Studie von "Sanktionsfrei e.V." ergeben. "Diese Menschen wollen arbeiten – aber sie werden im Stich gelassen", sagt Vereinsvorsitzende Helena Steinhaus. "Nur 16 Prozent fühlen sich vom Jobcenter gestärkt. Nur 12 Prozent fühlen sich überhaupt als Teil der Gesellschaft. Diese Ausgrenzung trifft auch die Kinder mit voller Wucht. Wer Kindern und Eltern die soziale Teilhabe verweigert, schafft Zukunftsangst – nicht Chancengleichheit. Niemand soll hungern oder sich für seinen Armut schämen müssen!"
4. Herkunft darf nicht über Zukunft entscheiden"Für viele Kinder, die in armen Familien leben, ist der Lebensweg schon vorgezeichnet", warnt Helena Steinhaus. Auch Bürgergeld werde im übertragenen Sinne 'vererbt'. "In Deutschland entscheidet Herkunft oft über Zukunft. Wer wenig hat, hat oft viel geleistet – und nichts geerbt", so die Expertin.
5. Gebt armen Kindern echte Chancen – statt Misstrauen"Die Kindergrundsicherung hätte helfen können, wurde aber blockiert – mit dem alten Vorurteil, arme Eltern würden das Geld 'versaufen'", ärgert sich Helena Steinhaus. "Studien belegen das Gegenteil: Mehr Einkommen kommt bei Kindern an. Schluss mit dieser entmenschlichenden Erzählung – Kinder haben ein Recht auf Zukunft!"

"Nicht Bürgergeldempfänger:innen gefährden den Sozialstaat, sondern Steuervermeidung, Cum-Ex-Skandale und politische Klientelpflege für Reiche", sagt die Vereinsvorsitzende von "Sanktionsfrei". "Wer sparen will, soll dort anfangen, wo das Geld ist – nicht bei denen, die jeden Cent umdrehen müssen. Eine gerechte Gesellschaft erkennt echte Leistung an und besteuert große Vermögen, statt Arme kleinzuhalten."
7. Das Bürgergeld braucht eine menschenwürdige Reform – mit mehr Geld, Respekt und echter Unterstützung"Wir brauchen einen sanktionsfreien Regelsatz von mindestens 813 Euro, individuelle Begleitung statt Massenabfertigung, und Qualifizierung statt Vermittlungsdruck", fordert Helena Steinhaus in BRIGITTE. "Die Jobcenter brauchen keine vereinfachten Sanktionen und schon gar keine Rückkehr zu Totalsanktionen."
Brigitte
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