Autorin über ihre offene Ehe: Mein Mann, mein Lover und ich: "Warum mir EIN Mann nicht reicht!" – 43-jährige Mutter berichtet

BRIGITTE: Liebe Deepa, in "Wie es mir gefällt" erzählst du feinfühlig und selbstkritisch von deinem Weg in eine nicht-exklusive Ehe, die dich hat aufblühen lassen. Ist es an der Zeit, dass wir Liebe und Begehren neu denken?
Deepa Paul: Ich habe das Buch nicht geschrieben, um jemanden zu missionieren. Aber Polyamorie wird immer sichtbarer – das erzeugt Neugierde, aber auch Gegenwind. Viele können Polyamorie nicht greifen und fragen sich: Ist das wie Untreue? Führen die ein Leben wie im Porno? Gibt es ständig Dreier und Orgien? Nur durch Gespräche über echte Erfahrungen können wir anfangen zu verstehen, was Polyamorie wirklich bedeutet. Dass sie viele Formen annehmen kann – je nachdem, was deine Werte sind und wie du so tickst. Mein Buch kann als Einladung gesehen werden, sich zumindest mal gedanklich in eine offene Ehe hineinzubegeben: Ich bringe Ehrlichkeit und Verletzlichkeit mit, die Leser:innen ihre Neugier – und dann können wir reden.
Wie leben du und dein Ehemann nicht-exklusives Begehren konkret im Alltag?
Bindung bedeutet für uns nicht sexuelle Exklusivität. Wir sind seit 17 Jahren verheiratet, davon leben wir seit neun Jahren nicht-monogam. Die ersten Jahre waren eine Phase des Ausprobierens – wir hatten beide lockere Bekanntschaften, meist über Dating-Apps. 2019 habe ich meinen jetzigen Freund kennengelernt, mit dem ich nun seit über sechs Jahren zusammen bin.
Wie fühlt es sich an, mehreren Menschen, die einen lieben, gerecht werden zu müssen?
Ich bin das polyamore "Scharnier" zwischen zwei parallelen Beziehungen mit (größtenteils) monogamen Männern, die mich lieben. Mein Mann hatte Dates, aus denen enge Freundschaften wurden, und ab und zu genießt er einen Flirt oder ein Abenteuer. Mein Freund datet aktuell niemanden. Die Möglichkeit, andere zu treffen, besteht für ihn immer, aber im Moment sind wir alle ziemlich ausgelastet.
Als polyamore Mutter ist es sicher gar nicht so einfach, immer einen freien Slot für Sex mit gleich zwei Männern zu finden, oder?
Unter der Woche ist jeder ziemlich unabhängig: Ich kümmere mich um Öffentlichkeitsarbeit und Buchpromotion, meine Tochter geht zur Schule und trifft sich mit Freundinnen, mein Freund pendelt zwischen Projekten, und mein Mann ist derzeit im Sabbatical. Alles steht in einem gemeinsamen Kalender – von Zahnarztterminen über Dates bis zu Familienurlauben oder Wochenenden mit meinem Freund. An sechs Abenden in der Woche bin ich Mutter und Ehefrau – wir essen gemeinsam zu Abend und reden, wie jede andere Familie auch. Sowieso wird viel mehr geredet als Sex gehabt. Einmal pro Woche übernachte ich bei meinem Freund. Aber wir stehen ständig in Kontakt, weil wir auch zusammenarbeiten – er ist Fotograf, ich Autorin. Wenn ich nicht da bin, ist "Papa-Tochter-Zeit" angesagt: Die beiden bestellen Sushi, schauen Filme oder spielen Videospiele. Zwischen den beiden ist dadurch eine sehr besondere, enge Beziehung entstanden.
Ist Polyamorie auch manchmal anstrengend? Du hast dir früher manchmal einen Babysitter gegönnt, wenn du ein Sexabenteuer haben wolltest.
Es ist definitiv anstrengend, eine polyamore Mutter zu sein. Die größte Herausforderung ist mittlerweile, mich selbst nicht zu vergessen: Ich muss auf mein eigenes mentales und emotionales Gleichgewicht achten – genug Ruhe und Zeit für mich selbst. Es funktioniert am besten, wenn ich mich nicht wie einen Kuchen behandle, den ich an alle verteile und für mich selbst nur noch Krümel übrig lasse.
Am Anfang – als mein Mann und ich begannen, auch andere Menschen zu treffen – mussten wir erstmal "emotional housekeeping" machen, also zuerst für uns selbst unsere Erlebnisse verarbeiten und uns dann bei einem Morgenkaffee oder einem Glas Wein nach dem Zubettgehen austauschen. Inzwischen ist das ein gut eingespieltes System.Viele Menschen sagen: "Ich könnte das nicht – ich bin einfach ein eifersüchtiger Mensch." Wie siehst du das?
Der Schlüssel ist, innezuhalten, bevor man reagiert – damit man nichts sagt oder tut, was man später bereut. Wenn ich Eifersucht spüre, nehme ich das Gefühl wahr, atme tief durch und lenke mich kurz ab. Später frage ich mich: Wovor habe ich wirklich Angst? Was fürchte ich zu verlieren? Meist steckt dahinter ein unerfülltes Bedürfnis – vielleicht nach mehr Nähe, Zeit, Zärtlichkeit. Kann ich dieses Bedürfnis selbst erfüllen? Wenn nicht, spreche ich es bei meinem Partner an. Meistens ist er gerne bereit, darauf einzugehen – und ich merke, dass meine Angst im Nachhinein eigentlich ziemlich unbegründet war.
Was hast du durch das Öffnen deiner Ehe über dich selbst gelernt?
Ich habe gelernt, was mir Energie gibt – und was sie mir raubt. Wie ich geben und empfangen möchte, was mich nährt und was mich kleinmacht. Die Erkenntnis, dass ich schwierige Herausforderungen wuppen kann, gibt mir Mut für größeres.
Was können Menschen in monogamen Beziehungen aus deinem Buch für sich mitnehmen?
Wir alle werden im Laufe eines Lebens verschiedene Versionen unserer Selbst. Menschen in langfristigen Beziehungen möchte ich einladen, offen dafür zu bleiben, DASS sich Bedürfnisse verändern – bei sich selbst oder beim Partner. Bleibt neugierig. Seid ehrlich zu euch selbst und zueinander. Versucht, der sichere Ort zu sein, an dem euer Partner oder eure Partnerin seine oder ihre Sehnsüchte, Ängste, Träume, Veränderungen zeigen kann – ohne Angst vor Zurückweisung.
Was wäre ein erster Schritt für Paare, um offener über Begehren oder unerfüllte Bedürfnisse zu sprechen?Werde dir selbst darüber klar, was genau du sagen willst. Dann frage deinen Partner, ob er oder sie gerade die Kapazität hat, es zu hören. Wenn du Angst hast vor der Reaktion, sag das ruhig: "Ich bin ein bisschen nervös, das anzusprechen, weil ich befürchte, du könntest ..." Ein Gespräch kann so beginnen: "Ich habe über etwas nachgedacht und würde gerne hören, was du dazu denkst. Ist jetzt ein guter Moment?" Bleib präsent und achte darauf, wie dein Gegenüber reagiert. Frage nach: "Wie kommt das gerade bei dir an?" Und wenn nötig: "Was brauchst du von mir, damit sich das für dich sicherer anfühlt?" Manchmal hilft es, das Gespräch zu unterbrechen und später wieder aufzunehmen. Als ich selbst anfing, war ich oft zu ungeduldig – wollte alles, sofort, nach meinen Vorstellungen. Heute weiß ich: Gute Dinge brauchen Zeit.
Wie haben sich deine außerehelichen Sexabenteuer auf dein Körpergefühl ausgewirkt?
Ich bin auf den ultra-katholischen, konservativen Philippinen aufgewachsen – da wurde mir vermittelt: Mein Körper ist sündig, Sex ist schlecht, sexuelles Begehren als Frau ist beschämend. Und dann sollen wir – völlig ohne Bezug zu unserem Körper – plötzlich in der Ehe dauerverfügbar und sinnlich sein? Durch meine sexuellen Erfahrungen mit Menschen, die nicht in diesem kulturellen Kontext aufgewachsen sind, habe ich gelernt: Sex und Begehren sind normal und gesund – und mein Körper ist schön. Das hat mein Selbstbild grundlegend verändert:Ich habe aufgehört zu glauben, dass ich schlank und perfekt sein muss, um begehrenswert zu sein. Ich habe gelernt, meinen Körper nicht nach seinem Aussehen zu bewerten, sondern zu staunen über das, was er kann. Seit ich mich von Scham befreit habe, habe ich ein viel gesünderes Verhältnis zu meinem Körper – er ist für mich heute eine Quelle von Intuition und Wissen.
Was hätten Sie Ihrem jüngeren Ich gern früher über Liebe, Sex und Beziehungen gesagt?Ich würde sagen: Mach dir keine Sorgen, Deepa – es wird alles gut. Du bist nicht "zu viel". Du musst dich nicht verstecken, verändern oder kleiner machen.
Du wirst geliebt – genau so, wie du bist.
Brigitte
brigitte