Thomas Hüetlin | Marlene Dietrich und Erich Maria Remarque: Bitte nicht bürgerlich
»Als sich dann Remarque auf den Weg machte, Ende März 1939, als Retter und Beschützer, als ›Engel, der mit dem schwarzen Schwert über dich wacht‹, fragte er noch kurz per Telegramm, ob er einen Frack mitbringen müsse, seiner sei leider von Motten zerfressen. ›Kein Frack, nur Liebe‹, lautete die Antwort, und die entzückte Remarque derart, dass er nun wirklich zu glauben schien, die Sache mit ihm und Marlene könnte vielleicht doch noch ein Happy End finden.«
Im September 1937 hatte der damalige Star der deutschen Literatur, Erich Maria Remarque, im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig den Hollywoodstar Marlene Dietrich kennengelernt, die er zuvor nur flüchtig kannte. Er war durch seine Antikriegsromane »Im Westen nichts Neues« und »Der Weg zurück« während der Weltwirtschaftskrise Millionär geworden, doch ihn plagt eine akute Schreibblockade.
Beide Bücher wurden von den Nazis gleich 1933 verboten und öffentlich verbrannt. Remarque zieht sich in die Schweiz zurück, 1938 wird ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Er besorgt sich einen Pass aus Panama und kann damit reisen. Dietrich geht Mitte der 30er Jahre endgültig in die USA und wird US-Bürgerin. Doch ist sie ein Weltstar auf dem absteigenden Ast. Die Rollenangebote bleiben zunehmend aus.
Der ehemalige Auslandskorrespondent Thomas Hüetlin, der unter anderem Bücher über den FC Bayern München und Udo Lindenberg publizierte und etwa mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis dekoriert wurde, hält das, was darauf folgte, für »eine der wildesten Liebesaffären des 20. Jahrhunderts«. Das ist pures Marketing. Beide Weltstars wollten sich mit dieser Verbindung vor allem schmücken, sich in ihrer Außendarstellung aufhübschen.
Ihre Liebesbeziehung war von Beginn an zum Scheitern verdammt. Die Herkunft konnte kaum unterschiedlicher sein: Dietrich stammte aus einer wohlhabenden Berliner Familie kaiserlicher Hofuhrmacher, bekam früh den preußisch-protestantischen Wertekanon eingeimpft (von der Mutter). Ihr Vater, ein unsteter Polizist, starb an Syphilis. Remarques Vater war Buchbinder und Guttempler, Alkohol und Nikotin galten ihm als Werkzeuge des Teufels. »Sie wohnten Neubauten trocken. Was so viel hieß wie: zwischen feuchten Wänden frieren, bis die Wohnung trocken genug war für Familien des besseren Bürgertums.«
Was Remarque und Dietrich verband, war das Projekt, den Schein nach außen zu bewahren. Freunde des gemeinen Fußvolks waren beide ganz entschieden nicht. Was zählte, waren Glamour, Schampus und Langusten. Sehen und gesehen werden: Alles Bürgerliche war unter ihrem Stand.
Und sie waren sich ähnlich: hausbacken. Sie schleppten Altlasten mit sich herum. Bei Marlene war es ihr Mann Rudi Sieber, der tschechische Vater ihrer gemeinsamen Tochter Maria, von dem sie sich nie scheiden ließ; er musste sich auch um alles kümmern (sie nannte ihn »Papi«). Sie hatte Affären mit Männern wie Frauen und lud den Anerkennungsakku, während Rudi (er nannte sie »Muttilein«) penibel die weinerlichen Briefe ihrer in die Wüste gejagten Ex-Liebhaber*innen abheftete. Die Dietrich war das Licht, der Rest die Motten.
Remarque, der eigentlich Erich Paul Remark hieß, hatte sich, bevor er berühmt wurde, für 500 Mark adoptieren lassen, um sich mit einem Adelstitel zu schmücken: »Freiherr von Buchwald«. Er hatte die Angewohnheit, seinen Liebschaften Männernamen umzuhängen. Seine Exfrau Jutta Zambona nannte er Peter, seine Agentin Brigitte Neuner, mit der er sie betrog, »meinen tapferen Heinrich«. Er war Perfektionist, hatte Schreibblockaden 24/7, einen vollen Weinkeller, wollte es allen recht machen, war Prokrastinator, hatte Angststörungen en masse. Er glaubte nicht an sich. Das unterschied ihn von Marlene: Die Dietrich glaubte nur an sich. Sie war narzisstisch, herrschsüchtig – der liebeskranke Schriftsteller ohne übermäßiges Selbstwertgefühl war ein gefundenes Fressen.
Nach einem Jahr Fastbeziehung, davon ein halbes Jahr räumlich getrennt, schliefen sie bereits meist in getrennten Suiten. Dietrich war praktisch pleite und Remarque eine »wandelnde Krankenakte«. Sie erwartete von ihm, dass er ihr gefälligst eine Rolle auf den Leib schreibe, doch das tat er nicht, frönte einem gediegenen Nichtstun am Lago Maggiore.
Luxus lähmt, da musste etwas anderes her: »Affären, das war der Zeitvertreib der Aristokratie, Unterhaltung der besseren Art.« Nebenbei kümmert sich Remarque um seine Frau Jutta, die er heimlich wieder geheiratet hatte, damit sie nicht nach Deutschland ausgewiesen wird. Marlene wird von der Paramount gekündigt, gilt als »Kassengift« und hat den Fiskus am Hals wegen Steuerhinterziehung. Sie lebt nur noch von ihren Affären, ihre Kontrollwut führt sie immer mehr ins Off. »Menschliches Nitro« wird sie von Remarque genannt.
Immerhin: Remarque schreibt wieder. Wie immer mit dem guten alten Bleistift. Er notiert: »Auch arische Arschlöcher sind Rassenschande.« Am Tag vor dem fingierten Überfall der deutschen Wehrmacht auf den eigenen Rundfunksender Gleiwitz in Oberschlesien, bei dem tote KZ-Häftlinge als angebliche deutsche Opfer platziert wurden, damit Deutschland einen Vorwand hat, in Polen einzumarschieren, nimmt Remarque den Luxusdampfer in die Neue Welt, ins Exil. Doch was danach geschieht, ist nicht »eine der wildesten Liebesaffären des 20. Jahrhunderts«, sondern eher »Spiel mir das Lied vom Beziehungstod«. Remarques Frau Jutta kommt ja auch noch hinterher. Marlene lässt sie festsetzen und sorgt für deren Abschiebung nach Mexiko.
Schon kurz nach der Jahreswende hat sich die vermeintliche Beziehung der »Glamourwesen« erledigt. Marlene avanciert später zum »Sweetheart of the Allied Forces«, macht als Sängerin Karriere, erfindet sich (als Racheengel) neu. Remarque heiratet die Exfrau von Charles Chaplin, Paulette Goddard (die aus »Moderne Zeiten«). Dafür lässt er sich zum zweiten Mal von Jutta scheiden. Und Goddard lässt alle Briefe der Dietrich an Remarque verbrennen.
Remarque beginnt Kunst zu sammeln. 1944 legt er in seinem Flüchtlingsroman »Arc de Triomphe« die Egomanie der Dietrich bloß (sie hätte es robusten Pragmatismus genannt). Er stirbt 1970 in Locarno. Die weißen Rosen auf seinem Grab von Marlene Dietrich lässt Goddard entfernen.
Dietrich stirbt 1992 verarmt und eremitisch als Alkoholikerin in einem Pariser Luxus-Hotel, die Miete bezahlte offenbar der französische Staat. Ihr Statement zum Mauerfall: »Ob sie aus dem Osten oder aus dem Westen kommen, ich hasse sie alle.« Auch Remarque blieb sich in seinem Kampf gegen alles Bürgerliche treu: »Schrecklich, wenn das Essen so starre Blicke macht.«
Thomas Hüetlin: »Man lebt sein Leben nur einmal«. Marlene Dietrich und Erich Maria Remarque – die Geschichte einer grenzenlosen Leidenschaft. Kiepenheuer & Witsch, 352 S., geb., 24 €.
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