Sommerfrische heute: Nostalgie trifft Social Media

"Sommerfrische" - das klingt nach leichten Kleidern im lauen Wind, Picknickkörben auf rotweiß karierten Decken, nackten Füßen im Bach oder Ostseeferien im Strandkorb. Der Begriff hat tatsächlich eine lange Tradition: Er entstand Anfang des 19. Jahrhunderts, als wohlhabende Städter der stickigen, heißen Luft der wachsenden Metropolen entfliehen wollten. Man fuhr "in die Sommerfrische" - an die frische Luft - meist in ländliche Gegenden, in Kurorte, an Seen, ans Meer oder in die Berge. Dort warteten Pensionen, Gasthöfe, schöne Landschaften, lange Spaziergänge und gepflegtes Nichtstun.

Besonders die aufkommenden Eisenbahnverbindungen machten die Sommerfrische möglich. Innerhalb weniger Stunden konnte man vom Stadttrubel ins Grüne reisen. Beliebte Ziele waren der Schwarzwald, die Ostsee oder die Alpenregionen.
Mehr als Urlaub: Lebensgefühl mit EtiketteDie Sommerfrische war mehr als Urlaub - sie war ein Ritual, ein Lebensgefühl. Ganze Familien zogen für Wochen aufs Land, oft in gemietete Zimmer bei Bauern oder in gut geführte Gasthöfe. Die Mütter und Kinder blieben meist den ganzen Sommer über, während der Vater nur am Wochenende "aufs Land kam".
Man wanderte, badete im See, malte und zeichnete oder musizierte. Man saß auf Veranden, trank Kaffee oder erfrischende Limonaden und plauderte mit den Nachbarn, während Kinder in Matrosenanzügen über Wiesen tollten. Selbst im Müßiggang galt Etikette: ein gepflegtes Äußeres gehörte ebenso dazu wie feste Essenszeiten, und beim Spaziergang wurde freundlich gegrüßt.

Auch Künstler, Schriftsteller und Musiker fanden Inspiration in der Sommerfrische. Gustav Mahler komponierte Teile seiner Sinfonien im österreichischen Salzkammergut, Theodor Fontane schrieb ein umfangreiches Buch über "Wanderungen in der Mark Brandenburg", und Thomas Mann liebte die Ostsee: Als mit seiner Familie den Sommer 1929 im Ostseebad Rauschen verbrachte - soll er folgenden begeisterten Satz gesagt haben: "Gibt es übrigens für eine Sommerfrische einen verführerischeren Namen als 'Rauschen'?". Später bezog er ein Sommerhaus im litauischen Nida.

Werbeplakate um 1900 zeigten strahlende Gesichter vor Bergen, Wälder mit funkelnden Seen und dampfende Kaffeetassen auf sonnigen Balkonen. Slogans wie "Erholen Sie sich im Herzen der Alpen" oder "Frische Luft - gesundes Herz" machten Lust auf den Sommer im Grünen.
Manche Orte warben auch gezielt mit ihren prominenten Gästen. Das österreichische Bad Ischl etwa warb in Prospekten mit den Namen berühmter Gäste, um noch mehr Städter anzulocken. Hauptattraktion war die Sommerresidenz der Kaiserlichen Familie, das österreichische Kaiserpaar Franz und Sisi ging in Bad Ischl ein und aus. Bis heute zeugen Gebäude und Plätze von der Sommerfrische berühmter Persönlichkeiten in Bad Ischl, und noch heute bezeichnet sich der Kurort als "beliebtester Sommerfrischeort Österreichs".
Sommerfrische 2.0: Zwischen Nostalgie und LifestyleDas Wort "Sommerfrische" aber droht auszusterben. Auf der "Duden" Seite wird es als "veraltend" bezeichnet. Wird damit eins der schönsten deutschen Wörter bald aus unserem Wortschatz verschwinden?
Nein, sagt Social Media und lässt Nutzer auf Instagram und TikTok vorführen, was #Sommerfrische im Jahr 2025 bedeutet: Sommerlicher Lifestyle. Gesundes Essen und Trinken, Picknicks, Wildblumensträuße und Bootstouren. Detox, wohin das Auge reicht. Alles ist frisch und leicht.
Die "Sommerfrische" erlebt ein Comeback: nicht nur als Hashtag, sondern auch in Hotelprospekten, Tourismusbroschüren und Lifestyle-Magazinen.
Natürlich kann man die Sommerfrische 2.0 nicht mehr mit früher vergleichen. Statt sechs Wochen Landurlaub sind es oft nur drei Tage Digital-Abstinenz in einer Almhütte oder ein verlängertes Wochenende am See.
Runterkommen, entschleunigen und genießenIn einer Zeit, in der der Alltag oft digital und schnelllebig ist, wo tägliche Nachrichten schlechte Laune verbreiten und immer mehr psychische Erkrankungen um sich greifen, sehnt man sich nach Entschleunigung: Sonnenuntergänge beobachten, barfuß durchs Gras laufen, einfach nur ein Buch lesen, liebe Freunde und gutes Essen. Besinnung auf das Wesentliche - und auf eine alte, charmante Tradition.
Einmal in die Welt einer Postkarte von 1905 eintauchen, den Duft von frisch gemähtem Gras riechen, dem sanften Plätschern eines Ruders auf einem See voller Seerosen lauschen, einen Schluck aus einem klaren Gebirgsbach genießen.
dw