Neue SPK-Präsidentin: Eine national-chauvinistische Haltung haben wir uns zum Glück abgewöhnt

Neustart in der Monsterinstitution Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Ein Gespräch mit Marion Ackermann über Raubkunst, Frauen in Führungspositionen und das liebe Geld.
Seit dem 1. Juni ist die neue Präsidentin im Amt. Marion Ackermann (60) ist aus Dresden gekommen, als Chefin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz steht sie nun der wichtigsten und größten Kulturinstitution Deutschlands vor. Und die ist wirklich ungeheuer groß. Die Neue Nationalgalerie, die Häuser der Museumsinsel, das Pergamonmuseum, der Hamburger Bahnhof, die Gemäldegalerie gehören dazu, insgesamt sind es 19 große Sammlungen, dazu Forschungseinrichtungen. Ackermann empfängt uns an ihrem neuen Arbeitsplatz, der wunderschönen Villa von der Heydt am südlichen Tiergarten. Das große Büro ist noch nicht bezogen, aber die Laune schon prächtig. Wie fühlt sie sich als Neuberlinerin? Und wie will sie nur all die Probleme in den Griff kriegen?
Liebe Frau Ackermann, worauf freuen Sie sich in Berlin am meisten?
Es endlich zu schaffen, auch die vielen nicht ganz so großen Kulturhäuser und Angebote zu erkunden. Ich kenne natürlich viele von ihnen seit langer Zeit, umso mehr freue ich mich, jetzt nochmal ganz anders und intensiver Teil des Berliner Lebens zu werden. Meinen ersten Abend habe ich gleich in der Akademie der Künste verbracht, wir haben dort über die Rolle Europas diskutiert. Die Akademien haben sich schon früh sehr für Mittel- und Osteuropa eingesetzt, und ich finde, da könnten die Museen sich noch stärker engagieren.
Was meinen Sie genau?
Bei den Museen gibt es die Bizot Group, einen informellen Verbund der großen Museen, dessen Zusammensetzung bisher allerdings stark westlich geprägt ist. Die Museen aus den Ländern Mittel- und Ost-Europas sind immer noch viel zu wenig repräsentiert. Auch Istanbul ist ein Teil Europas. Wer ist aus Ungarn dabei? Wer aus Georgien? Da möchte ich mich mehr engagieren.
Wo in Berlin findet man Sie in Ihrer Freizeit?
Ich habe einen Hund und durch ihn habe ich auch die Natur entdeckt. Ich bin eigentlich ein Stadtmensch, aber mein Hund ist ein Jack Russell und hat großen Bewegungsdrang. Man findet mich also durchaus in Parks, nicht nur in Kultureinrichtungen.
Was ist Ihr Lieblingsrestaurant?
Ich bin ja gerade erst angekommen, aber habe schon ein Kiezcafé, in das ich gerne gehe, das Zazza in der Lehrter Straße. Genau gegenüber wird übrigens die dritte Station der Berlin Biennale sein, im ehemaligen Frauengefängnis. Moabit ist auf engem Raum unglaublich vielfältig.
Nun hatten Sie großes Glück. Ende Januar hat in letzter Sekunde der Bundestag das Gesetz zur Reform der SPK beschlossen. Zehn Prozent mehr, was zwölf Millionen Euro entspricht. Können Sie uns einmal ganz kurz versuchen zu erklären, worin diese mächtige Reform besteht?
Man hat sich entschieden, den großen Verbund SPK, mit Museen, Bibliotheken, Archiven und Forschungseinrichtungen, zusammen zu lassen, und ihn gleichzeitig im Inneren agiler und flexibler zu machen. Die Verwaltungswege sollen kürzer werden, entbürokratisiert. Und die einzelnen Einrichtungen, die von weltweitem Renommee sind, sollen an den für sie wichtigen Punkten freier agieren können. Ein Aufspalten der SPK entlang der Einzeldisziplinen hätte überhaupt keinen Sinn gemacht – es ist viel fruchtbarer, wenn man das Ganze wie ein enzyklopädisches Bruchstück sieht und schaut, was für spannende Energien sich ergeben. Und dann noch ganz wichtig, auch Teil der Reform: das Kollegialorgan.

Um was handelt es sich dabei? Das klingt ja wie ein sehr großes Körperteil!
Das ist lustig. Man könnte auch sagen: Kollektivvorstand. In dieser komplexen Zeit kann kein Einzelner mehr alle Diskurse bestimmen. Ab Dezember steht dann ein Entscheidungsgremium von sieben Personen mit der Präsidentin an der Spitze. Jeder wird für einen bestimmten Bereich zuständig sein – von föderalen Fragen bis zu Forschungsaufgaben. Man kann in einem solchen Rahmen über bestimmte Formen von gesellschaftlicher Verantwortung ganz anders nachdenken und viel stärker und größer auftreten.
Was sagen Sie heute, am Anfang Ihrer Amtszeit: Was sind die Schwerpunkte, auf die Sie sich zuerst konzentrieren wollen?
Die Vollendung der Reform bis Ende des Jahres und die Entwicklung der inhaltlichen Strategie der SPK. Eine zentrale Frage wird sein, wie sich die Museen in der neuen Struktur weiterentwickeln, was an den einzelnen Standorten passiert und wie sie im Gesamtverbund agieren, um diesem mehr Leichtigkeit einzuhauchen und künstlerische Perspektiven einzubringen, wie ich es in Dresden gemacht habe. Und es geht um Ressourcen, das heißt neben politischen Gesprächen auch für weitere Möglichkeiten zu kämpfen, etwa für bestimmte Themenfelder zusätzliche finanzielle Unterstützer zu gewinnen – zum Beispiel in Bildung und Vermittlung.
Sie sprechen über das viel geforderte Mäzenatentum, das im antibürgerlichen Berlin ja leider kaum existiert.
Genau. Deshalb wird es auch darum gehen, die Strahlkraft und Sichtbarkeit weit über Berlin hinaus zu steigern. Die SPK ist keine Berliner Einrichtung, sondern von Bund und Ländern getragen und finanziert. Ich würde gerne gezielt Persönlichkeiten und Wirtschaftsunternehmen deutschlandweit ansprechen, um nochmals klar den Gedanken aufzuladen: Die SPK steht auch für das föderale System. Natürlich muss man dabei auch ganz deutlich machen, dass alle etwas davon haben.
Das stelle ich mir nicht so einfach vor. Schnell könnten die notorisch klammen Länder das Gefühl bekommen, in Berlin würde ihr Geld versenkt.
Mir scheint, es beginnt sich im Bewusstsein etwas zu ändern. Die Länder haben zuletzt immer wieder deutlich gemacht, dass das auch ihre Stiftung ist. Und sie erwarten, dass die SPK in den Ländern präsent ist. Da wollen wir mehr tun. Das geht nur mit vielen Gesprächen, für die ich auf jeden Fall alle Länder besuchen möchte, quasi eine Deutschlandreise machen. Aber es geht mir auch um globale Partnerschaften, es geht um Think Big.
An welche Länder denken Sie?
Naja, es geht schon um einen 360-Grad-Blick! Es gibt ja auch schon viele Anknüpfungspunkte, Partnerschaften, das müssen wir vertiefen und ausbauen. Wir müssen zum Beispiel präsent sein, wenn in Nigeria im Herbst das neue Museum of West African Art mit den Benin-Objekten eröffnet wird. Berlin hat sich durch die Rückgabe von Objekten dort stark gemacht, jetzt beginnt ein ganz neues Kapitel. Noch wichtiger als die physische Restitution ist den Kollegen vor Ort oft die Kooperation. Die wünschen sich, dass ganz viel passiert, von Forschung über Performance über Werkstätten, und es gibt eine Lebendigkeit, die anders ist als in europäischen Museen. Und es geht um Zusammenarbeit auf echter Augenhöhe.

Wir sollen kommen und Strukturen, Ideen, Leute und Geld mitbringen?
Nein. Gegenseitig besuchen und austauschen. Jeweils voneinander lernen. In China würden wir beispielsweise gerne ein gemeinsam kuratiertes Projekt verwirklichen, im Silicon Valley experimentelle Zusammenarbeit in Bezug auf KI erproben. Ich war auf Einladung von KI-Forschenden gerade über eine Woche in Stanford und habe mich in das Thema vertieft. Meine Überzeugung ist: Wir müssen auf die richtigen Partner und Instrumente setzen, damit endlich eine weltweite Zugänglichmachung der Sammlungen erleichtert werden kann. Da geht es um Masse und Geschwindigkeit, dazu brauchen wir diese Partnerunternehmen.
Ist Künstliche Intelligenz nicht eine große Bedrohung für Bildersammlungen wie Museen?
Wir müssen der KI natürlich zugleich massiv etwas entgegensetzen. Es wird immer wichtiger, die Konstruiertheit von Bildern und Texten zu erkennen. Als Teil unseres Vermittlungsprogramms muss dieser Umgang geschult werden: Was ist ein Original, was ist eine bearbeitete Version, was Fake-Narration, wo werden wir manipuliert?
Museen sollen Schulen des Sehens werden?
Das sind sie ja schon längst. Dieses Sehen-Lernen kann man eben auch erweitern auf KI, das halte ich für wichtig. Und gleichzeitig gilt es, selbstbewusst aufzuzeigen, warum man Kunst und Kultur gerade jetzt braucht – mit ihrer Ambiguität, in ihrer Wissenschaftlichkeit, und zum Öffnen von Denkräumen.
Sie sind für Internationalisierung bekannt. Im Vergleich zu Paris und London hängt Berlin immer noch stark hinterher, was die Besucherzahlen in Museen angeht. Wie wollen Sie das schaffen?
Richtig ist: Die Sammlungen stehen denen in Paris und London um nichts nach. Warum hat Berlin im Vergleich geringere Besucherzahlen? Eine Antwort ist sicher, dass wir davon abhängig sind, wie sich der Tourismus entwickelt. Das muss man bedenken, wenn man den Vergleich mit Paris und London bemüht. Klar ist: Die Museen verdienen noch mehr Besucherinnen und Besucher. Wir werden das Ausstellungsprogramm noch mehr zum Strahlen bringen. Und wir werden sicherlich noch etwas in der Markenbildung und bei der Kommunikation ändern.
Wird es ein neues Logo und Branding geben?
Ich glaube nicht, dass alles mit einem neuen Logo gelöst wäre. Es gibt ja ganz viele Marken in der SPK, auf unterschiedlichen Ebenen – zum Beispiel die Neue Nationalgalerie oder die Museumsinsel. Das Kulturforum könnte als eine Art zweite Museumsinsel stärker gebrandet werden.
Kulturforum klingt schon sehr nach Fußgängerzone in Kassel, oder?
Wir könnten dazu ja mal einen Leserinnenaufruf in der Berliner Zeitung machen. In Dahlem gibt es etwa den Forschungscampus, FC Dahlem, ein Name mit einem Augenzwinkern, das gefällt mir. Aber im Ernst, das ist ein toller Standort der Stiftung, auch wenn er nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Mit Blick auf die Ereignisse in den USA, der Ausschluss ausländischer Studierender an der Harvard-Universität durch Trump – da haben wir jetzt Verpflichtung und Chance. Die amerikanischen Institutionen stehen unter Druck, mit vielen stehen wir im Austausch. Ich träume davon, dass der Forschungscampus ein Ort wird, an den Forschende aus dem Ausland kommen und hier das verwirklichen, was sie woanders gerade nicht machen können. Ich kann mir gut vorstellen, dass es amerikanische Mäzene und Mäzeninnen gibt, die Interesse daran haben, uns dabei zu unterstützen. So denke ich Branding grundsätzlich eher vom Inhalt her.

Sie sind die erste Präsidentin der wichtigsten deutschen Kulturinstitution. Inwiefern spielt es für Sie eine Rolle, eine Frau in einer Führungsposition zu sein?
Es spielt für andere offensichtlich eine Rolle. Ich weiß, dass sich Frauen oft freuen. Es hat auch eine große Rolle in meiner beruflichen Entwicklung gespielt. Ich saß im Beratungsgremium für Angela Merkel zu Frauen in Führungspositionen, und ich weiß schon, wie ich jüngere Frauen fördern kann. Ich schaue genau hin. Und bin da auch sehr strikt, wenn ich eine Ungerechtigkeit beobachte. Es scheint mir nicht mehr ganz so akut wie noch vor Jahren, als in Protokollen noch stehen konnte: „Wir mussten bei den Damen besonders sorgfältig überprüfen, wie sie in ihre Ämter gekommen sind.“ Das Gute ist, dass man in der Führungsposition Dinge steuern kann.
Es gibt heute einen epochalen Wandel, was die Identität eines Museums betrifft. Während es jahrhundertelang ums Sammeln ging, scheinen heute die Hauptaufgaben die Restitution, das Zurückgeben von kolonialer oder NS-Raubkunst zu sein. Es geht um Objekte, die zu Unrecht in deutschen Museen lagern und ausgestellt werden, weil sie eben unter verbrecherischen Umständen hergelangten. Für Außenstehende ist das schwer zu verstehen, aber: Ist das etwas Gutes, wenn jetzt weniger statt mehr Objekte in der Sammlung sind?
Zuerst einmal ist Deutschland durch die Washingtoner Konferenz und das intensive Auseinandersetzen mit dem nationalsozialistischen Kunstraub sehr geschult darin und hat bereits viel gelernt. Vor etwa zehn Jahren sind wir auch im Bereich der ethnologischen Objekte von einem defensiven, nur zögerlich und sehr langsam auf Anfragen Reagieren zur proaktiven Provenienzforschung übergegangen, da ist eine neue Dynamik entstanden, das ist gut so. Vor allem ist dabei eine andere Art der Zusammenarbeit entstanden, die uns neue Perspektiven eröffnet. Und das ist eine ganz, ganz tolle Entwicklung.
Sie definieren die SPK als „lernende Institution“, gleichzeitig ist da der Auftrag, „das kulturelle Erbe des ehemaligen Königreichs Preußen zu bewahren und zu pflegen“. Wie geht das zusammen?
Eine national-chauvinistische Haltung, also zu sagen, bei uns ist sowieso alles am besten aufgehoben, deshalb geben wir nicht zurück, das haben wir uns zum Glück abgewöhnt. Jede Restitution wird außerdem vorher sorgfältig abgewogen. Das geschieht nie leichtfertig und es wird auch immer im Stiftungsrat entschieden.

Können Sie nachvollziehen, dass konservative Kräfte ein wenig Angst haben, weil langsam klar wird, dass eigentlich alle Werke in Völkerkundemuseen Raubkunst sind? Also eigentlich gar nicht hierhergehören?
Was definiert man als Raubkunst? Es stammt ja bei weitem nicht alles aus der Kolonialzeit oder aus gewaltsamer Aneignung. Die Frage ist, wie weit dreht man das Rad der Geschichte zurück? Bis in das 16. Jahrhundert? Wichtig ist doch das Wissen darüber – je mehr proaktive Forschung passiert, desto besser kann man einen Umgang entwickeln.
Von 2016 bis 2025 waren Sie Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Dort fand der sogenannte „Bilderstreit“ statt, bei dem es unter anderem darum ging, dass Ostkünstler weniger geschätzt und ausgestellt werden als Westmaler. Was haben Sie aus Ostdeutschland mitgenommen?
Für mich ist das Weiterarbeiten an der Aufarbeitung deutsch-deutscher Geschichte ein Lebensthema geworden. Dahingehend ist in Berlin viel passiert in den letzten Jahren, aber wir fangen eigentlich gerade erst an. Ich fände es allein wegen der Geschichte der SPK, die nach 1989 Menschen und Sammlungen aus dem Osten und dem Westen der Stadt zusammenführen musste, wichtig, wenn wir in dieser Diskussion führend werden. Als ich die letzten drei Monate mit meinem „wandernden Schreibtisch“ die Einrichtungen kennengelernt habe, war im Gespräch mit den Mitarbeitenden oft die Frage nach den Ostbiografien ein Thema. Ich kann mich übrigens noch ganz genau erinnern, wie ich 1998 bei der Wiedereröffnung der Gemäldegalerie gestaunt habe, als die Bilder aus dem Osten und Westen erstmals gemeinsam da hingen. Erst haben wir festgestellt, die Bilder aus dem Westen sind ja viel bedeutender. Um dann zu begreifen: Nein, die sind nicht bedeutender, die sind nur bekannter. Die sind im Kanon stärker verankert und häufiger reproduziert. Das war für mich eine sehr eindringliche Erfahrung darüber, wie sich Bedeutung herstellt.
Fühlen Sie sich eigentlich eher niedersächsisch oder eher türkisch geprägt?
Bis in die Grundschulzeit habe ich mit meinen Eltern in Ankara gelebt. Ich bin extrem emotional, was die Türkei betrifft, auch weil ich eine sehr glückliche Kindheit hatte. Was ich von dort mitgenommen habe, ist die unglaubliche Freundlichkeit und Offenheit der Menschen, die mich bis heute in meiner Arbeit und Einstellung prägen. Ankara war damals eine freie und intellektuelle Stadt, von Atatürk stark humanistisch und modern geprägt. In den Semesterferien sind meine Eltern mit dem Wohnwagen durchs Land gereist, wir haben am Straßenrand übernachtet. Später sind wir nach Göttingen gezogen, Zonenrandgebiet an der Grenze. In meiner Schulklasse kam mehr als die Hälfte aus geteilten Familien. Wir hatten das Privileg, jedes Jahr in die DDR reisen zu können, zum einseitigen Schüleraustausch. Und wir haben dabei natürlich versucht, das System zu sprengen, um so schnell wie möglich Liebschaften zu erzeugen.
Berliner-zeitung