Der ewig junge Brite: David Hockney feiert das Leben und seine Kunst


Art Gallery of New South Wales / Jenni Carter
Ein wolkenlos stahlblauer Himmel, ein flacher Bungalow minimalistischer Bauweise, daneben zwei Palmen, und im Vordergrund das grünblaue Wasser eines Swimmingpools mit einem Sprungbrett. Die gemalte Szenerie ist menschenleer, doch macht hochspritzende und schäumende Gischt klar: Hier ist gerade jemand ins frische Nass ein- und darin abgetaucht.
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Das 1967 in Kalifornien entstandene Bild «A Bigger Splash» und andere Situationen am Pool machten ihn bekannt, ja populär. Nun erinnert der Maler David Hockney daran, dass er bei Weitem nicht auf derlei zu reduzieren ist: mit einer grossen Ausstellung in der Fondation Louis Vuitton in Paris.
Der 1937 in Bradford (West Yorkshire) bei Leeds geborene Brite bekam von der am Rand des Bois de Boulogne gelegenen kulturellen Einrichtung gleichsam eine «carte blanche», um auf nicht weniger als vier Ebenen ihres spektakulären Frank-Gehry-Baus eine Überraschung nach der anderen zu präsentieren. Vom Kellergeschoss bis unter das Dach zeigt der 88-jährige Hockney in elf teils riesigen Sälen Werke aus sieben Jahrzehnten, vor allem aber die jüngere Produktion.
Die Schau übertrifft zumindest an Grösse alle vorangegangenen Ausstellungen des Künstlers. Französische Zeitungen überschlagen sich mit Lob, und die BBC tut sich schwer mit britischer Gelassenheit. Die beste Werbung kommt allerdings von der Verwaltung der Pariser Metro, die üblicherweise gerne affichiert.
Nun macht stattdessen ihre Ablehnung des eingereichten Plakatentwurfs von sich reden – ein Foto des rauchenden Künstlers vor einem Selbstporträt mit qualmender Zigarette. Dem Vernehmen nach ist der passionierte Raucher Hockney, eine Art Helmut Schmidt der Kunst, über diese Reaktion im Heimatland von Gauloises und Gitanes «not amused».
Hedonismus und HomoerotikGegen Intoleranz wehrte sich Hockney schon, als es noch keinen Wokeismus gab. Der ewig jung wirkende, oft bunt gekleidete, das Leben liebende Künstler begrüsst draussen an der Fassade mit dem Neonlichtspruch «Do remember, they can’t cancel the spring». Die Parole «Denke daran, sie können den Frühling nicht abschaffen» ist die eines Hedonisten, der sich im London der «Swinging Sixties» einen Namen gemacht hat.
Hockney hat dabei als malender Aktivist und noch bevor der Begriff «Coming-out» populär wurde, gezeigt, was ihm persönlich wichtig war. Dezent, aber deutlich thematisiert er Homoerotik und Schwulsein schon 1961 mit «We Two Boys Together Clinging» und 1963 mit «Two Men in a Shower».
Zwar ist die raumgreifende Ausstellung «David Hockney 25» nicht als Retrospektive angelegt, sondern setzt den Akzent auf Arbeiten der letzten 25 Jahre. Zusammengekommen sind 400 Werke, auch dank der Unterstützung von den erfahrenen Ausstellungsmachern Suzanne Pagé und Sir Norman Rosenthal: Gemälde und Zeichnungen, klassisch mit Pinsel, Palette und Stift angefertigt, ebenso wie solche, die am Computer oder Tablet entstanden sind, sowie Videoinstallationen.
Hockney ist von Beginn an kein Anhänger der Abstraktion. Obwohl oder gerade weil diese in den Fünzigerjahren Konjunktur hat, malt er 1955 seinen Vater gegenständlich, moderat modernistisch und mit Schwarz, Braun und Beige. Eindeutig trister wirkt 1956 eine düstere Strassenszene. Der Student der lokalen Kunstschule in Bradford wechselt 1959 an das Royal College of Art in London und beginnt, seinen Szenen mit Figuren mehr Licht und Farbe zu geben sowie Stoffmuster zu integrieren. Damals verwendet er noch Ölfarbe, doch rasch ersetzt er sie durch Acryl.
Ähnlich wechselt er seinen Lebensmittelpunkt, lebt jeweils mehrere Jahre in Los Angeles, dann in Paris, später im östlichen Teil seiner Heimat Yorkshire und schliesslich in der Normandie, bevor er sich 2023 in London niederlässt. Grossstädte mit ihren Museen haben ihm alte Kunst verschiedenster Epochen nähergebracht und ihn zu Dialogen mit berühmten Meistern inspiriert, Landschaften der USA, Englands und Frankreichs dagegen die Natur gezeigt und ihre bisweilen einfachen Reize.
Zwar sind jetzt auch viele Porträts und Stillleben zu sehen, doch ein Schwerpunkt der Schau liegt auf Landschaftsbildern. In einem Saal ist das Licht heruntergedimmt, um in gleissendem Mondschein einer Serie von Nachtszenen die Regie zu überlassen. Hockney begeistert sich sichtlich und spürbar aufrichtig vor allem für Felder mit Heuschobern, krummen Wegen und kurvigen Landstrassen; Bäume zeigt er knorrig im Winter, blühend im Frühling und Früchte tragend, etwa Birnen, im Herbst. Dabei besticht die Wahl des Ausschnitts und der Perspektive. Von fern schwingen Monet und der Impressionismus mit, in den koloristisch intensivsten Bildern aber vor allem der späte Bonnard.
Kreativität und KapriolenAus seinen Farbexplosionen spricht pure Lebensfreude, aus vielem sogar Humor. Seine Wandlungsfähigkeit ist bemerkenswert, und seine Kreativität schlägt stets neue Kapriolen. Das Staunen lässt schon deshalb nicht nach, weil Hockney neue elektronische Medien interessiert haben und er auf die Frage, wie sie eingesetzt werden können, zahlreiche Antworten liefert. So wechseln sich klassische Gemälde unverhofft mit Bildschirmen ab, die bewegte Bilder wiedergeben und gleichsam das Werden eines Werks dokumentieren.
«The Rain» ist ein Video in Endlosschleife: Vor einem gemalten Landschaftsausschnitt imitieren permanent schnell und dicht gesetzte Striche fallende Tropfen eines kräftigen Landregens, als würden wir aus einem Fenster dabei zuschauen, wie es giesst.
Hockney liebt Illusionismus und Spiele mit einem Bild im Bild, fachsprachlich «Mise-en-abyme». So blicken wir bei einem Werk in einen Saal mit verstreuten Stühlen und Menschen, in dem ein wandfüllender Spiegel alles reflektiert. Dann wiederum bricht, multipliziert und wiederholt er Bilder durch raumgreifende Reihung – eng aneinander stossende Tafeln oder Bildschirme, beispielsweise in drei breiten Streifen zu je sechs Bildern.
Obwohl der Schau eine Dramaturgie zugrunde liegt, die auf Überraschungseffekte setzt, ist man am Schluss doch noch einmal frappiert, nämlich wenn Hockney in einen dunklen Saal einlädt, der von Projektionen und Klängen lebt. Bewegte Bilder auf Musik etwa von Puccini, Wagner oder Richard Strauss ziehen hier die Summe aus seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit Bühnenbildern, die 1975 mit der Arbeit für eine Inszenierung von Strawinskys «Rake’s Progress» einsetzte. «Wir brauchen mehr Oper», lässt er wissen, «sie ist grösser als das Leben.»
Fondation Louis Vuitton / Marc Domage
Das jüngste Exponat stammt vom Beginn dieses Jahres, jenes Selbstporträt mit Bild im Bild, das auf dem inkriminierten Foto-Plakatentwurf zu sehen ist. Es zeigt den Maler sitzend in einer Gartenecke, auf der Nase eine gelbe Brille, in der einen Hand einen Stift, in der anderen eine Zigarette. Bekleidet mit weissem Hemd, roter Krawatte sowie gelb und rot-gemustertem Anzug, trägt Hockney am Revers den Button «End bossiness soon» – «Hört auf, Vorschriften zu machen».
«David Hockney 25», Fondation Louis Vuitton, Paris, bis 31. August, Katalog 49.90 Euro.
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