Arzneimittelstabilität: Lehren aus dem Paxlovid-Fall



Die Coronapandemie hat das Leben sehr vieler Menschen radikal verändert. / © Shutterstock/Ocskay Mark
Lebensmittel und Arzneimittel sind nur begrenzt haltbar und das wird in beiden Fällen in weitreichenden Regularien festgelegt. Bei Lebensmitteln gibt es ein Mindesthaltbarkeitsdatum, zum Beispiel bei Joghurt, der danach noch verzehrt werden kann. Anders ist es bei Hackfleisch oder frischem Fisch; diese sind bis zu einem bestimmten Termin zu verbrauchen. Bei Arzneimitteln ist die Sache einheitlich: Der Verbraucher muss sich an das auf der Verpackung aufgedruckte Verfallsdatum halten.
Das wird in den Medien zu Recht regelmäßig in diese Richtung thematisiert. Aber wie kommt es eigentlich zu einem »Haltbarkeitsdatum« für ein Arzneimittel und zu der berechtigten Forderung an den Patienten, dieses unbedingt einzuhalten?
In der Pandemie zeigte sich mit dem Corona-Wirkstoff Nirmatrelvir als wirksamer Bestandteil in dem Präparat Paxlovid® das Problem einer notwendigen Verlängerung der Haltbarkeitsfrist.
Ein ähnliches Problem war im Jahr 2009 mit der Schweinegrippe aufgetaucht, als die große Bevorratung mit Tamiflu® zu riesigen Verlusten geführt hätte, wenn man die Vorräte zeit- und fristgerecht vernichtet hätte. In den Jahren 2011 und 2012 unterstützte der Hersteller Roche die Länder und belegte durch eigene Stabilitätsuntersuchungen, dass Tamiflu statt fünf Jahre lang, wie üblich bei Medikamenten, bis zu sieben bis zehn Jahre, je nach Charge, verwendet werden durfte.
Mit den hier vorgelegten Stabilitätsuntersuchungen zu Nirmatrelvir soll an einem weiteren Beispiel gezeigt werden, wie das Thema einer verlängerten Haltbarkeit in Sonderfällen – und nur solchen – angegangen werden kann. Es sei darauf hingewiesen, dass die Begründung und auch das Ausmaß der Verlängerung der Haltbarkeit von Tamiflu und Paxlovid unterschiedlich waren.

Paxlovid® war das erste oral einzunehmende Medikament für Covid-19-Patienten zu Hause. Damit mussten weniger Patienten ins Krankenhaus. / © IMAGO/Daniel Scharinger
Studien zur Stabilität von Arzneimitteln sind in der Literatur zahlreich. Für viele, aber nicht alle Arzneimittel zeigt sich, dass nach Packungsangabe verfallene Arzneimittel noch den deklarierten Gehalt an Arzneistoff aufweisen (siehe Übersichtsartikel [1, 2, 3, 4] und repräsentative Studien [5, 6, 7, 8]). Der Verbraucher ist so instruiert, dass er in der Apotheke auf neu hergestellte Arzneimittel drängt und die alten nicht mehr verwenden will.
Es gibt unseres Wissens von den Herstellern selbst keine öffentlich zugänglichen systematischen Studien zu chemisch stabilen Arzneistoffen und -mitteln, die über ein Haltbarkeitsdatum von meist fünf Jahren hinausgehen. Eine Untersuchung einer längeren Haltbarkeit würde allerdings keinen unvertretbar großen Aufwand für die Hersteller bedeuten. Sind Arzneimittel nachweislich über die besagten fünf Jahre hinaus lagerfähig und stabil, dann sollte – bei einem besonderen Anlass wie bei Tamiflu – die längere Haltbarkeitsdauer auf neue Medikamentenpackungen vor dem Inverkehrbringen aufgedruckt werden. Auf keinen Fall sollten in der Übergangszeit im Umlauf befindliche Packungen umetikettiert oder gar zurückgerufen werden.

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