Einen Schritt näher an der unendlichen Energie: 43 Sekunden bei 30 Millionen Grad

Die Kernenergie, die wir heute nutzen, funktioniert durch die Spaltung von Uran in Atomkerne (Kernspaltung) zur Stromerzeugung. Diese Methode setzt zwar keinen Kohlenstoff frei, erzeugt aber gefährlichen radioaktiven Abfall. Hier kommt eine Lösung ins Spiel, nach der die Wissenschaft schon lange sucht: die Kernfusion. Die Fusion, die in der Sonne stattfindet, ist ein Prozess, bei dem sich Wasserstoffkerne unter extremer Hitze und Druck zu Helium verbinden und dabei enorme Energie freisetzen. Die Fusion verspricht kohlenstofffreie, saubere und nahezu unbegrenzte Energie. Zudem entsteht deutlich weniger radioaktiver Abfall als bei der Kernspaltung. Diese Technologie befindet sich jedoch noch im experimentellen Stadium. Bisher haben Wissenschaftler hauptsächlich an Reaktoren namens Tokamaks gearbeitet, die ringförmiges Plasma mit einem Magnetfeld enthalten.
Neben Tokamaks ist ein weiterer ernsthafter Kandidat der Reaktortyp „Stellarator“, ein viel komplexeres System. WELTREKORD
Der Stellarator Wendelstein 7-X in Deutschland hat einen neuen Weltrekord in der Kernfusion aufgestellt. In einem Experiment des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik hielt dieser hochmoderne Reaktor eine stabile Plasmareaktion 43 Sekunden lang aufrecht. Dieser Rekord stellt eine der bislang längsten Plasmadauern dar, nicht nur für Stellaratoren, sondern für alle Fusionsreaktoren, einschließlich Tokamaks. Zuvor hatten bereits der Tokamak JT60U in Japan und der Tokamak JET in Großbritannien Rekorde aufgestellt. Die Leistung von Wendelstein 7-X hebt das Dreifachproduktniveau, ein entscheidender Faktor in der Wissenschaft, auf das Niveau von Tokamaks.
Diese drei kritischen Faktoren sind: - Ionendichte im Plasma
- Temperatur der Ionen
- Wie lange die Energie im Plasma gefangen ist (Wärmeisolationszeit)
In dem 43 Sekunden dauernden Experiment kamen diese Werte dem Schwellenwert, der für den Übergang der Fusion zur kommerziellen Produktion erforderlich ist, so nahe wie nie zuvor.
Dieser Erfolg wurde durch die Zusammenarbeit mehrerer Länder ermöglicht. Das Oak Ridge National Laboratory des US- Energieministeriums entwickelte einen speziellen Brennstoffinjektor für den Reaktor. Auch das spanische CIEMAT und das ungarische Energieforschungszentrum HUN-REN trugen dazu bei. Der Reaktor wurde 43 Sekunden lang mit 90 Pellets gefrorener Wasserstoffionen beschickt. Das Plasma wurde mittels Mikrowellenheizung auf 30 Millionen Grad Celsius erhitzt. Dieser Prozess wurde durch Elektronenzyklotronresonanz erreicht, die effizienteste Heizmethode für die Kernfusion.
Der Pelletinjektor wurde so programmiert, dass er mit automatischen Pulsfrequenzen arbeitet – laut Popular Mechanics ein Novum in der Geschichte der Fusionsforschung.
Professor Thomas Klinger vom Max-Planck-Institut kommentierte die Entwicklung: „Der neue Rekord ist ein enormer Erfolg für das internationale Team. Er demonstriert eindrucksvoll das Potenzial von Wendelstein 7-X. Die Steigerung der Dreifachvervielfachung in Langzeitplasmen auf Tokamak-Niveau ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Entwicklung eines Stellarators für die kommerzielle Energieerzeugung.“ Dieser Rekord bringt die Menschheit ihrem Traum von sauberer, nachhaltiger und sicherer Energie einen Schritt näher. Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass die Fusionstechnologie noch weit davon entfernt ist, verfügbar und kommerziell nutzbar zu sein.
ntv