Die Überarbeitung der Benutzeroberfläche von Netflix hält Sie für immer in der Falle

Netflix muss verhindern, dass Sie Ihr Abonnement jedes Mal kündigen, wenn Sie die wenigen Sendungen, die Sie interessieren, zu Ende geschaut haben. Bald wird Ihre TV- und Streaming-App ein völlig neues Aussehen mit neu gestalteten Menüs haben . Hinter der überarbeiteten Benutzeroberfläche verbirgt sich jedoch ein überarbeiteter Algorithmus, der Ihre Sehgewohnheiten besser kennen und Ihnen mehr Inhalte anzeigen wird, von denen Netflix glaubt, dass Sie sie sehen möchten. Mit anderen Worten: Die TikTokisierung von Netflix steht bevor, und daran führt kein Weg vorbei.
Letztes Jahr gewährte Netflix Gizmodo einen ersten Einblick in das kommende Redesign . Abonnenten können die vollständige Überarbeitung in den kommenden Wochen und Monaten endlich erleben. Die Änderung, die Ihnen sofort auffällt, ist, dass das Hauptmenü nun eine lange Leiste am oberen Rand der App ist. Hier können Sie nach Ihrer nächsten Serien-Session suchen. Hier können Sie auch schnell zwischen Serien, Filmen und Spielen zwischen Mobilgerät und Fernseher wählen. Sie können jederzeit auf das neue Menü zugreifen oder suchen, indem Sie die Zurück-Taste auf Ihrer Fernbedienung drücken.
Die wichtigste Änderung an der Benutzeroberfläche der Netflix-App dürfte die neue Verwendung des „Home“-Tabs im Vergleich zum „Mein Netflix“-Tab sein. Dort finden Sie Inhalte, die Ihrer „Meine Liste“ hinzugefügt wurden, Erinnerungen für kommende Inhalte und Ihr „Weiterschauen“-Karussell. Im „Home“-Tab finden Sie alle Inhalte, die Netflix Ihnen zeigen möchte – egal ob es sich um kommende Live-Inhalte wie den letztjährigen Kampf zwischen Mike Tyson und Jake Paul oder andere kommende Shows handelt, von denen der Streamer glaubt, dass sie Sie interessieren könnten.

Das Ziel der neuen Netflix-Benutzeroberfläche ist es, personalisierte Empfehlungen zu verbessern – Sie wirklich an Netflix-Inhalte zu fesseln. Netflix-CTO Elizabeth Stone erklärte, der neue Algorithmus werde sich an Sie anpassen, selbst wenn Sie nach anderen Inhalten suchen, anstatt Empfehlungen auf Ihrem Profil oder Ihren bisherigen Sehgewohnheiten zu basieren. Wenn Sie beispielsweise gerade die letzte Staffel von „You“ gesehen haben und nach weiteren Serienkiller-Inhalten suchen, wird Netflix versuchen, Ihnen ähnliche Inhalte anzuzeigen. Dies könnte in Form von Kategorien erscheinen, die Ihnen beim Browsen mit so ausgefallenen Namen wie „Liebe, Lust und Lügen“ angezeigt werden. Netflix nennt dies „responsive Empfehlungen“. Im Wesentlichen sammelt der Algorithmus Informationen über Sie und Ihre Umgebung, um Sie länger am Ball zu halten, als Sie normalerweise gelangweilt wären.
Es gibt einen Aspekt, der an Netflix‘ überarbeitetem Algorithmus Sinn ergibt. Wir alle kennen die Situation, dass Netflix keine interessanten Inhalte mehr auf der Startseite anzeigen konnte. Gleichzeitig könnte der stärker personalisierte Algorithmus eine Feedbackschleife auslösen: Wenn man sich ein paar Folgen von „You“ ansieht, wird man mit noch mehr Serienkiller-Inhalten überschwemmt, nach denen man nicht gesucht hat. Empfehlungen könnten auch die Tageszeit berücksichtigen, sodass Netflix und Chillen spät in der Nacht andere Inhalte bieten könnten, als wenn man nach einem langweiligen Film sucht, um sich von den Mittagsarbeiten abzulenken.
Diese stärkere Personalisierung könnte künftig auch Werbung umfassen. Eunice Kim, Chief Product Officer von Netflix, äußerte sich zwar nicht konkret zu den Zukunftsplänen, sagte aber, der neue Look biete „Flexibilität für die zukünftige Weiterentwicklung der Startseite“ und „wir glauben, dass die Verbesserung auch für Werbetreibende positive Auswirkungen haben wird“.

Der neue Look soll die Aufmerksamkeit fesseln, unter anderem durch die Kennzeichnung von mehr Inhalten mit leicht verständlichen Fakten. Beispielsweise werden Nutzern nun mehr Hinweise auf beliebte oder mit einem Emmy ausgezeichnete Inhalte angezeigt. Auch die mobile App erhält einige Neuerungen. Die erste ist ein vertikaler, TikTok-ähnlicher Feed, der kurze Clips von Inhalten zeigt, von denen Netflix glaubt, dass sie für Sie interessant sein könnten. Netflix verwendet außerdem KI-Modelle von OpenAI in seinem Such-Tab, über die Nutzer eine vage Eingabeaufforderung wie „Ähm, ich weiß nicht, etwas Düsteres und Lustiges, aber nicht zu Lustiges“ eingeben können. Beide Funktionen werden als „Tests“ eingeführt, und die KI-Suche wird optional verfügbar sein (zunächst auf iPhones).
Netflix ist wie alle Streaming-Dienste besorgt über die Abwanderungsrate. In Streaming-Kreisen wird darunter die Rate verstanden, mit der Abonnenten ihre Mitgliedschaft kündigen. Business Insider berichtete auf Grundlage von Daten des Analyseunternehmens Antenna, dass die Abwanderungsrate bei Netflix normalerweise niedriger ist als bei anderen Diensten. Der Streaming-Gigant läuft finanziell gut und meldete im April, dass seine Abonnementeinnahmen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind. Dennoch muss Netflix diesen Zustand beibehalten, um 2022 nicht wieder einen Abonnentenschwund wie im Fall der Fälle zu erleben. Oftmals abonnieren Nutzer eine Staffel einer Serie, die sie interessiert, kündigen ihr Abo aber nach Ablauf. Netflix will vor allem durch stärker personalisierte Empfehlungen verhindern, dass Nutzer ihr Abo kündigen, da der Dienst dadurch unangenehm viel über Ihre Sehgewohnheiten erfährt. Wie bei TikTok und Instagram ist der algorithmische Feed das A und O. Wird das auch bei Netflix funktionieren?
gizmodo