Psychische Gesundheit bei Jugendlichen: ein Symptom einer anfälligen Gesellschaft

Die psychische Gesundheitskrise ist bereits ein Merkmal des 21. Jahrhunderts, das auch als „Jahrhundert der Einsamkeit“ bezeichnet wird. Ursprünglich waren es ältere Menschen, die aus scheinbar offensichtlichen Gründen am meisten unter psychischen Krisen und Einsamkeit litten. Auch in anderen Altersgruppen (Dreißigern, Vierzigern und Fünfzigern) war dies zu erwarten; jedes Jahrzehnt bringt seine eigenen Krisen mit sich: prekäre Arbeitsverhältnisse, Hypotheken, erste Scheidungen, medizinische Untersuchungen und so weiter.
Die heutige Krise der psychischen Gesundheit betrifft jedoch vor allem Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, also Altersgruppen, deren Grenzen immer fließender werden und die sich derzeit in der schlimmsten Situation befinden (nicht umsonst werden sie als „ängstliche Generation“ bezeichnet).
Studien zeigen, dass 35 bis 50 Prozent der Schüler und Studenten unter Angstzuständen und Depressionen leiden. Auch andere Probleme wie Sucht, Magersucht, Bulimie, Selbstverletzung, Suizidgedanken und Selbstmord oder ADHS nehmen zu. Die Zahl der Krankenhausaufenthalte von Jugendlichen wegen psychischer Erkrankungen nimmt zu und beginnt bereits in jüngeren Jahren.
Die Krise der psychischen Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist in zweierlei Hinsicht paradox: Einerseits tritt sie in einer Wohlfahrtsgesellschaft auf, andererseits betrifft sie die Menschen im besten Lebensalter, die mehr emotionale Fürsorge erfahren als je zuvor.
Eine häufige Erklärung ist der Stress, dem die jüngeren Generationen angeblich ausgesetzt sind. Als Gründe werden oft der Schuldruck (Hausaufgaben, Prüfungen, Tests), der Klimawandel (Öko-Angst) und die sozialen Medien genannt.
Der schulische Druck lässt sich nur schwer als Erklärung dafür ansehen, da der Bildungskontext dafür sorgt, dass das Wohlbefinden der Schüler nicht beeinträchtigt wird , Korrekturen und Misserfolge vermieden werden und stattdessen Zeichen der Zustimmung gezeigt werden.
Die Universitäten selbst sind zu „sicheren Orten“ geworden, um sicherzustellen, dass den Meinungen der Studenten nichts widerspricht. Dabei sollten sie doch gerade „unsichere“ Orte für vorgefasste Meinungen im Interesse neuer Erkenntnisse sein, einschließlich solcher, die das als selbstverständlich Geltende in Frage stellen.
Auch Öko-Angst – eigentlich die Angst vor den zweifellos beunruhigenden Nachrichten zum Klimawandel – lässt sich nur schwer als Erklärung für die psychische Gesundheitskrise ansehen, obwohl 84 Prozent der 16- bis 25-Jährigen davon berichten. Öko-Angst ist eher eine ethische und politische Haltung als ein psychischer Zustand.
Tatsächlich haben soziale Medien die psychische Belastung von Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen verschärft, insbesondere seit 2012, als ihre Nutzung flächendeckend zunahm. Allerdings erklären soziale Medien die Krise nicht, denn sie war bereits vorhanden. Sie verschärfen sie, aber sie verursachen sie nicht.
Stress und Verletzlichkeit Stress steht immer im Verhältnis zur Verletzlichkeit. Daher kann dieselbe Situation für manche belastend sein, für andere jedoch irrelevant oder sogar eine Herausforderung darstellen. Verletzlichkeit wird oft im Hinblick auf genetische und neurologische Entwicklungsfaktoren verstanden, was zu der Erklärung „Verletzlichkeit-Stress“ führt.
Die Verletzlichkeit wird in dieser Erklärung aus den gegebenen Beschwerden abgeleitet. Sie leiden an Depressionen, weil Sie verletzlich sind, und Sie sind verletzlich, weil Sie an Depressionen leiden. Eine tautologische Erklärung.
Die neuen Generationen scheinen jedoch deutlich anfälliger zu sein als die vorherigen. Jenseits der Genetik, der neurologischen Entwicklung und vermeintlicher geistiger Beeinträchtigungen muss die Verletzlichkeit woanders gesucht werden: Wir leben in einer Gesellschaft, die uns verletzlich macht.
Die Gesellschaft macht die neuen Generationen möglicherweise unabsichtlich verletzlich, ja sie möchte sogar das Gegenteil: dass sie nicht verletzlich sind, sondern Selbstwertgefühl und Glück entwickeln. Die Probleme sind nicht auf Defekte im Gehirn oder der Psyche der Kinder zurückzuführen. Die sogenannten „psychischen Störungen“ entstehen nicht bei Kindern, Jugendlichen und jungen Menschen, sondern in der Gesellschaft, in der sie aufwachsen und sich entwickeln: einer verletzlichen Gesellschaft. Die psychische Gesundheitskrise selbst wäre ein Symptom der Gesellschaft.
Eine anfällige Gesellschaft zeichnet sich durch zwei sich gegenseitig verstärkende Merkmale aus: einerseits durch Überfürsorglichkeit (wie Kinder erzogen und ausgebildet werden) und andererseits durch eine Diagnosekultur (der zufolge jede Krankheit leicht auf den klinischen Radar gelangt).
Überbehütung auf der Grundlage von Zustimmung, dem Kind den Weg zu ebnen, damit es nicht stolpert, und durch Schmeicheleien („Du bist etwas Besonderes“ usw.) Selbstwertgefühl zu vermitteln, wird oft mit der (wahren) Vorstellung gerechtfertigt, dass Kinder verletzlich sind.
Wenn jemand jedoch als verletzlich behandelt wird, wird er verletzlich. Wie Goethe sagte: „Behandle den Menschen, wie er ist, und er bleibt, was er ist; behandle ihn, wie er sein kann und soll, und er wird, was er sein kann und soll.“
Ohne wissenschaftliche Grundlage und entgegen dem gesunden Menschenverstand gehen neue Elterngenerationen davon aus, dass alles, was nicht die Erfüllung der Wünsche ihrer Kinder betrifft, Traumata verursachen könnte. Ausgehend von der Vorstellung, Kinder wüssten, was sie wollen, geht es bei der Erziehung heute nur noch darum, sie zu unterstützen.
Der Weg ist für das Kind vorbereitet, aber nicht für das Kind für den Weg des Lebens, der immer Steine, Pfützen, Höhen und Tiefen, Kreuzungen usw. haben wird. Wir haben sozusagen Kinder mit aufgeblasenem Selbstwertgefühl, die überbehütet sind und den Schwierigkeiten, die das Leben immer mit sich bringt, kaum ausgesetzt sind. Anfällig für gelegentliche Rückschläge.
Seit den 1990er Jahren hat sich zunehmend eine ganze Diagnosekultur (auch Therapiekultur genannt) etabliert, die es alltäglichen Leiden erleichtert, in den klinischen Alltag einzutreten . Meilensteine dieser Kultur finden sich in der Serie „Die Sopranos“ (1999–2007) und dem Film „A Therapy to Kill“ (1999), in dem die härtesten Männer der Mafia eine Psychotherapie machen, sowie in Oprah Winfreys berühmter US-Fernsehshow (1986–2011), die ein Format im Stil einer „Psychotherapiesitzung“ bietet. Die Oprah Winfrey Show war mehr als nur ein Meilenstein, sie schuf eine ganze „Kultur des Bekenntnisses“ psychischer Probleme, die selbst eine therapeutische Wirkung zu haben schien.
Seitdem ist es kein Stigma mehr, psychische Probleme zu haben und eine Psychotherapie in Anspruch zu nehmen, sondern es ist heutzutage ein Trend.
Die Wirkung der Miniserie „Adolescence“ bleibt abzuwarten. Beispielsweise wird ihr Fokus auf das soziale Gefüge – statt auf das Opfer – eine soziale und nicht nur eine individuelle psychologische Perspektive bieten.
Die Wahrheit ist, dass heute die klinische Sprache das Thema Leiden übernommen hat, zum Nachteil anderer möglicher Sprachen, wie etwa der sozialen, politischen, moralischen und existenziellen, die Probleme aus einer anderen Dimension ansprechen könnten, die sich weniger auf das Individuum als „psychisch kranke Person“ konzentriert.
Lassen Sie mich diese rhetorische Frage beantworten. Diagnosen beruhigen Eltern, weil sie davon ausgehen, dass ihre Kinder an etwas leiden – Angstzuständen, Depressionen, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen –, das ihr Unbehagen erklären würde (sonst unerklärlich, da ihnen nichts fehlt). Emotionales Wohlbefinden gewinnt in Schulen eine neue Bedeutung.
Das Gesundheitspersonal ist überfordert. Kinder, Jugendliche und junge Menschen freuen sich über Diagnosen, denn sie machen sie sichtbar. „Lieber diagnostiziert als unsichtbar“, scheint das Motto zu sein. Für Politiker gibt es nichts Besseres, als wenn die Bürger diagnostiziert werden und schon genug um die Ohren haben. Und für die Gesellschaft ist es perfekt, denn so werden die Probleme, die sie selbst verursacht, als etwas Individuelles privatisiert.
Das Problem Wir sollten die Krise zunächst einmal so betrachten, als wäre sie etwas, das uns aus unbekannten Quellen und Gründen widerfahren ist. Demnach könnte die Krise durch die Verletzlichkeit unserer Gesellschaft erklärt werden. Einerseits werden Kinder übermäßig behütet und dadurch verletzlicher – statt, wie angenommen, weniger –, andererseits hat die klinische Sprache die Bedeutung von Leiden übernommen, die es nie gab. Und als ob das nicht genug wäre, ist die Diagnose vom Stigma zur Mode geworden und beinahe zu einem Privileg geworden.
Da das Unbehagen real ist – wie es entstanden ist, ist eine andere Frage – ist psychologische Unterstützung notwendig. Dabei gibt es zwei Fronten: die unmittelbare Reaktion auf den Fall und die präventive. Der jeweilige Fall muss angesprochen und bewertet werden. Die beste Unterstützung wäre eine, die versucht, das Unbehagen zu normalisieren, es in den Kontext der Umstände zu stellen und diese so weit wie möglich zu verändern, anstatt sich auf die Erforschung von Gefühlen und vermeintlichen Traumata zu konzentrieren, was nur eine weitere Form der „Nabelschau“ wäre.
Im Sinne der Prävention – und im Hinblick auf künftige Generationen – wäre es an der Zeit, die überfürsorgliche Erziehung und klinische Kultur zu überdenken, die dazu neigt, die inhärenten Probleme des Lebens zu pathologisieren, ohne zu versuchen, die Gesellschaft zu verändern. Eines ist sicher: Die Lösung liegt nicht in mehr Psychologen und Psychiatern, deren Zahl immer gering sein wird.
(*) Psychologe, Wissenschaftler und Essayist, Universität Oviedo. (**) Dies ist eine gemeinnützige Organisation, die wissenschaftliche Ideen und Erkenntnisse mit der Öffentlichkeit teilen möchte. Dieser Artikel wird hier unter einer Creative Commons-Lizenz wiedergegeben.
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