Bombardierung von iranischen Nuklearanlagen: Wo könnte Strahlung austreten, und wann würde sie gefährlich?


Mit seinen Angriffen auf Iran verfolgt Israel vor allem ein Ziel: Das Mullah-Regime soll daran gehindert werden, eine Atombombe zu bauen. Deshalb richten sich die Angriffe vornehmlich gegen Anlagen und Personen, die im iranischen Nuklearprogramm eine zentrale Rolle spielen. Israel setzt sich damit über eine Mahnung hinweg, die der Direktor der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), Rafael Rossi, seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges gebetsmühlenhaft wiederholt: «Kerntechnische Anlagen dürfen niemals angegriffen werden, unabhängig vom Kontext oder von den Umständen, da dies sowohl Menschen als auch die Umwelt schädigen könnte.»
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Nimmt Israel mit seinem Bombardement von Nuklearanlagen also verheerende Folgen in Kauf? Oder anders ausgedrückt: Beschwört es in dem Versuch, eine nukleare Bedrohung abzuwenden, selbst eine nukleare Gefahr herauf?
Uran ist vor allem chemisch toxischDer Dreh- und Angelpunkt des iranischen Nuklearprogramms ist das chemische Element Uran. Uran ist ein radioaktives Metall, das vornehmlich durch die Aussendung von Alphateilchen zerfällt. Diese Strahlung hat eine Reichweite von wenigen Zentimetern und lässt sich relativ gut abschirmen. Zur Gefahr für den Menschen wird Uran vor allem dann, wenn es als Staub eingeatmet oder durch die Nahrung aufgenommen wird. Deshalb sollte Uran nicht in die Umwelt gelangen.
Natürliches Uran besteht zu 99,3 Prozent aus dem schweren Isotop Uran-238 und zu 0,7 Prozent aus dem leichteren Uran-235. Nur letzteres lässt sich spalten. Für die Verwendung in einem Kernkraftwerk muss der Anteil von Uran-235 deshalb auf 3 bis 5 Prozent gesteigert werden; für eine Atombombe braucht es sogar einen Anteil von 85 Prozent. Dafür muss das Material angereichert werden. Das geschieht in einer Zentrifuge, die das schwerere Uran-238 vom leichteren Uran-235 trennt.
Diese Anreicherung ändert allerdings nichts daran, dass Uran nur relativ schwach strahlt. Weitaus bedenklicher ist seine chemische Wirkung. Uran ist ebenso giftig wie Blei oder andere Schwermetalle. Für eine Vergiftung des Menschen reichen bereits Mengen im Körper, die von ihrer Strahlung her unbedenklich sind.
Zu einem Strahlungsrisiko wird Uran nicht durch seinen spontanen Zerfall, sondern erst durch die künstlich herbeigeführte Kernspaltung. In den Brennstäben eines Reaktors sammeln sich mit der Zeit Spaltprodukte wie Cäsium oder Strontium an, die sehr viel stärker strahlen als Uran-235. In einer Anreicherungsanlage kommen diese gefährlichen Spaltprodukte nicht vor.
Welche Folgen hätte eine Zerstörung der Uranzentrifugen?Die Zentrifugen, mit denen Iran in Natanz und Fordo Uran anreichert, befinden sich tief unter der Erde. Niemand weiss genau, wie viel Uran dort gelagert wird. Bei einer unterirdischen Explosion könnten Teile dieses Materials verdampfen und in die Atemluft gelangen. Als Folge würde die Strahlung in den unterirdischen Kavernen zunehmen. Ob das Uran von dort in die Umwelt gelangen kann, hängt von den Schäden an der Infrastruktur ab. Selbst im ungünstigsten Fall wären die Folgen aber auf die unmittelbare Umgebung der Anreicherungsanlagen beschränkt. Das Bombardement einer grossen Chemiefabrik hätte für die Umwelt schlimmere Folgen, sagt der ehemalige Chefphysiker der Schweizer Armee Walter Rüegg.
Laut Medienberichten wurden vor allem die Anlagen in Natanz beschädigt. Die Internationale Atomenergieagentur hat bisher aber keine erhöhte Radioaktivität ausserhalb der Anlage festgestellt. Das deute darauf hin, dass dieses Ereignis keine externen radiologischen Auswirkungen auf die Bevölkerung oder die Umwelt habe, heisst es in einer Mitteilung vom 13. Juni. Aufgrund des Bombardements seien die Anlagen in Natanz jedoch radiologisch und chemisch kontaminiert. Das bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass es unterirdische Explosionen gab. Die Zentrifugen könnten auch indirekt durch den Stromausfall beschädigt worden sein.
Kernkraftwerke sind schwer zu zerstörenIn Bezug auf die Menge radioaktiven Materials, das freigesetzt werden könnte, stellt ein Kernkraftwerk wie jenes in der iranischen Stadt Bushehr ein sehr viel höheres potenzielles Risiko dar als die Anreicherungsanlagen. Der Reaktor weist eine Stromleistung von rund 1000 Megawatt auf. Als Resultat der Kettenreaktionen fallen in der Anlage schätzungsweise drei Kilogramm an Spaltprodukten täglich an. Da das Kraftwerk seit September 2011 in Betrieb ist, dürfte sich inzwischen eine beträchtliche Menge Spaltprodukte angesammelt haben. Diese hochradioaktiven Abfallprodukte der Uranspaltung können über Hunderttausende bis Millionen Jahre nach dem Abbrennen der Brennelemente noch radioaktiv bleiben. Sollten diese Spaltprodukte in die Atmosphäre gelangen, würde sich die Radioaktivität auch über die Grenzen Irans hinaus ausbreiten.
Allerdings ist ein Kernkraftwerk wie das von Bushehr dafür ausgelegt, auch extremen Krafteinwirkungen standzuhalten. Die gesamte Anlage ist nämlich vom sogenannten Containment-Gebäude umgeben. Diese Struktur besteht typischerweise aus einer ein bis zwei Meter starken Wand aus Stahlbeton, die oft zusätzlich von einer Stahlhülle umgeben ist. Zudem schützen die drei bis vier Meter starke Betonabschirmung und die dicke Stahlwand des Reaktordruckbehälters den Reaktorkern selbst. Es sei deshalb unwahrscheinlich, dass eine Bombe bis in den Reaktorkern durchdringe und die darin enthaltenen radioaktiven Substanzen zum Verdampfen bringe, sagt Rüegg.
Morteza Nikoubazl / Imago
Eine grundsätzlich grössere Gefahr geht laut Rüegg von Forschungsreaktoren aus. Diese sind bei weitem nicht so stark bewehrt wie ein stromproduzierender Reaktor. Eine Bombe, die einen Forschungsreaktor träfe, hätte deshalb eine deutlich höhere Chance, die Anlage zu zerstören und radioaktive Stoffe freizusetzen.
In Forschungsreaktoren verzichtet man nämlich meist auf das Containment. Das liege daran, dass die Leistung des Reaktors – also seine Wärmeproduktion – sowie die Menge Spaltprodukte überschaubar seien. Die Gefahr einer Kernschmelze sei in Forschungsreaktoren praktisch null, sagt Rüegg. Deshalb verfügten solche Anlagen oft nicht einmal über eine Notkühleinrichtung. In der Regel reiche natürliche Luftkühlung aus, um eine Kernschmelze zu verhindern.
Weil das Containment fehlt, würde ein Bombeneinschlag bei einem Forschungsreaktor deutlich grössere Schäden anrichten. Allerdings wäre auch dann das Strahlenrisiko auf die unmittelbare Umgebung des Reaktors beschränkt. Die Trümmer einer Explosion wären radioaktiv, sagt Rüegg. Aber die stark strahlenden Spaltprodukte würden mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Ummantelung des Brennstoffs eingefangen bleiben.
Rafael Rossi, der Direktor der IAEA, sagte am Montag in einer Ansprache vor dem Gouverneursrat, dass weder das Kernkraftwerk in Bushehr noch ein Forschungsreaktor in Teheran bisher Ziele von Angriffen gewesen seien. In der Nuklearanlage in Isfahan seien bei den Angriffen vom Freitag vier Gebäude beschädigt worden. Allerdings sei auch hier das ausserhalb der Anlage gemessene Strahlungsniveau unverändert.
nzz.ch