Rechtsruck in der Beziehung: Haben wir als Paar noch eine Chance?
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Was tun, wenn der oder die Liebste plötzlich findet, dass es "zu viele Ausländer" gibt, die wir "loswerden" müssen?
Dass Alice Weidel mit Abstand die beste Kanzlerin für Deutschland wäre? Oder dass Putin und Trump "richtig starke Führer" sind, von denen die Welt noch viel mehr bräuchte? Mit dem wachsenden Erfolg der extremen Rechten wächst auch das Konfliktpotenzial, denn das Unsagbare wird wieder sagbar – und kann selbst sicher geglaubte Liebesbeziehungen sprengen.
Vertritt der oder die Partner:in plötzlich Positionen, die den eigenen Werten zuwiderlaufen, ist das zunächst einmal ein Schock. Man glaubt, den oder die andere:n nicht mehr zu kennen, und sieht das unausgesprochene Einverständnis bröckeln, die Welt wenn nicht mit gleichen, so doch mit ähnlichen Augen zu sehen. Wie ein Abgrund tut sich die Frage auf: Haben wir überhaupt noch eine Zukunft?
Wenn alles auf den Prüfstand kommtDoch noch ist nichts verloren: Harte politische Konflikte in der Liebe sind zwar erschütternd und schmerzhaft, doch sie bringen auch Bewegung in die Beziehung. Das muss nicht schlecht sein, denn Differenzen können die Bindung stärken, weil nun alles auf den Prüfstand kommt.
Grundsätzliches muss jetzt neu austariert und ausdiskutiert werden: Wie eng sind unsere politischen Überzeugungen mit unseren Grundwerten verknüpft? Können wir eine Partnerschaft, in der die Ansichten stark auseinandergehen, in gegenseitigem Respekt leben? Wie gut sind wir eigentlich darin, Konflikte zu bewältigen und schwierige Gespräche zu führen? Und ist es uns möglich, trotz großer Meinungsverschiedenheiten zu einem gemeinsamen Verständnis zu gelangen? Starke politische Differenzen laden auch zu einer Auseinandersetzung darüber ein, wie sich beide im Laufe der Zeit verändert haben – und warum.
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Wie gehen wir mit Beziehungskrisen um? Wann ist eine Trennung sinnvoll? Warum trennen sich Frauen anders als Männer? Diese und weitere Fragen beantworten wir in unserem PDF-Dossier zum Thema Beziehungen in der Krise.
Die Kommunikationsexpertin Gina Vild hat bei "Psychology Today" sechs Fragen formuliert, die bei politischen Diskussionen innerhalb der Partnerschaft als Leitfaden dienen können:
- Welche Grundwerte spiegeln sich in unseren unterschiedlichen politischen Ansichten wider?
- Wie haben unsere Lebenserfahrungen diese politischen Ansichten beeinflusst?
- Hat sich unsere politische Haltung im Laufe der Jahre verändert, und wenn ja, warum?
- Gibt es Werte und Themen, über die wir uns einig sind?
- Wie können wir bei der Diskussion aktueller Ereignisse respektvoll mit unseren Differenzen umgehen?
- Gibt es Nachrichtenquellen, denen wir beide vertrauen?
Paare, die sich über diese Fragen verständigen können, bauen Brücken über die politische Kluft, die sie trennt. Was wie immer bei solchen Auseinandersetzungen hilft: Eine Haltung, die verstehen statt verurteilen will, wie sie zuletzt im Social-Media-Trend "We listen and we don't judge" ("Wir hören zu, wir urteilen nicht") zum Ausdruck gekommen ist. Wer dann noch eine tiefe emotionale Bindung und wichtige Kompatibilitäten hat – etwa den Wunsch, eine Familie zu gründen, den gleichen Sinn für Humor, körperliche Anziehung oder gemeinsame Interessen – hat es fast geschafft. Eine starke, vertrauensvolle Beziehung ist es immer wert, gekittet zu werden. Fehlt jedoch die gemeinsame Basis und bleiben die Fronten verhärtet, wird es Zeit, zu gehen.
sar Brigitte
brigitte