Musikfestival Bayreuth Baroque: Theater auf und hinter der Bühne


Lukasz Rajchert / Bayreuth Baroque
Es sind schwere Geschütze, die da im vergangenen November aufgefahren werden. Ein prominenter Klassik-Blog berichtet von ehemaligen Mitwirkenden, die sich über die Arbeitsbedingungen beim Festival Bayreuth Baroque beschwert hätten. Konkret in der Kritik steht der Intendant, der international bekannte Countertenor und Regisseur Max Emanuel Cenčić. Auf Proben soll es hitzig oder übergriffig zugegangen sein, sogar von Handgreiflichkeiten ist die Rede. Die Empörung ist gross, das Medieninteresse auch.
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Doch sauber recherchiert hat damals offenbar kaum jemand. Cenčić ist ohne Frage ein Künstler, der temperamentvoll reagieren kann, wenn ihm etwas nicht passt – aber Handgreiflichkeiten? Die Geschichte wurde allem Anschein nach von einem ehemaligen Mitarbeiter des Produktionsmanagements in die Welt gesetzt, nachdem sein Vertrag nicht verlängert worden war. Vor Mitarbeitern soll er lautstark gedroht haben, die Reputation von Cenčić zu zerstören. Da er selber nicht direkt mit Cenčić gearbeitet hatte, hörte er sich um.
Interessen und IntrigenEine typische Theaterintrige also, eigentlich nicht der Rede wert. Heute spricht denn auch niemand mehr von dieser Causa. Cenčić selbst verweist auf seine Stellungnahme vor einem Jahr. Die Opernwelt sei halt reich an Neid und Intrigen, sagt er. Und: «Manchmal gibt es mehr Theater hinter der Bühne als auf der Bühne.»
Das Theater auf der Bühne ist beim Festival Bayreuth Baroque allerdings wichtiger und ist nicht zu verachten. Was da seit fünf Jahren alljährlich im Spätsommer geleistet wird, imponiert. In kurzer Zeit hat sich dieses Festival im schmucken Markgräflichen Opernhaus zu einem weltweit beachteten Kontrapunkt zu den Wagner-Festspielen im nahe gelegenen Festspielhaus gemausert.
Ein Schwerpunkt ist dabei die Pflege eines breiten Barockopern-Repertoires. In diesem Jahr wurde das Festival mit dem Dreiakter «Pompeo Magno» von Francesco Cavalli eröffnet. Seit 1844 befinden sich dessen erhaltene Werke in der Biblioteca Nazionale Marciana in Venedig. Cavalli zählt heute zu den am besten erschlossenen Opernkomponisten des 17. Jahrhunderts. Etliche seiner Werke wurden bereits von Originalklang-Experten wie René Jacobs, Thomas Hengelbrock oder Stephen Stubbs erfolgreich für die moderne Opernbühne adaptiert. Die bekannteste Cavalli-Oper «La Calisto» von 1651 schaffte es sogar an ein grosses Haus wie die Bayerische Staatsoper. Der «Pompeo» war hingegen bislang eher ein Schattengewächs.
Clemens_Manser /Bayreuth Baroque
Dafür gibt es Gründe. Das Libretto von Nicolò Minato ist kein grosser Wurf, und mit dreizehn gesanglich anspruchsvollen Solopartien ist die Oper nicht einfach zu besetzen. In Bayreuth ist jetzt freilich ein Fest der Stimmen geglückt, und schon das ist eine Meisterleistung. Auch dramaturgisch hat die Oper einige Tücken, denn die Titelgestalt des Pompeius ist strenggenommen nur eine Figur unter vielen, keine dominierende Rolle. Für Cenčić, der wiederum sowohl Regie führt wie auch selbst mitsingt, ist die Rolle jedoch optimal, zumal darin nicht derart akrobatische Höhen zu erklimmen sind wie in den anderen Counterpartien dieser Oper.
Stilistisch lehnt sich Cavalli überdeutlich an das Vorbild Claudio Monteverdis an. Das wirkte schon bei der Uraufführung 1666 etwas aus der Zeit gefallen. Doch Monteverdi zählte in Venedig zu den prägenden Lehrmeistern Cavallis, und wie jener wirkte schliesslich auch Cavalli als Kapellmeister an San Marco. Das venezianische Manuskript der letzten Monteverdi-Oper, «L’incoronazione di Poppea», enthält zudem Eintragungen und möglicherweise Hinzufügungen in Cavallis Handschrift.
In der «Pompeo»-Partitur ist vor allem der rund sechzig Jahre ältere «L’Orfeo» von Monteverdi präsent. Schon der Eingang erinnert an die sogenannte «Gonzaga-Fanfare», mit der Monteverdi auch die «Marienvesper» eröffnet, und selbst der volkstümliche Tanz und Chor der Nymphen und Hirten geistert durch die «Pompeo»-Musik. Mit Instrumentalfarben, die in Monteverdis «Orfeo» Gestalten aus der Unterwelt zeichnen, schärft Cavalli zudem die Groteske. Das alles klingt vielfach sogar wie ein geschickt umfrisierter Monteverdi, und in Bayreuth würzt die Cappella Mediterranea mit Leonardo García Alarcón am Pult noch kräftig nach. Da imitierten derb-frivole Posaunen-Glissandi, wie man sie von Strawinsky oder Schostakowitsch kennt, etwa den angetrunkenen Pompeo-Sohn Sesto. Auch im Schlagwerk wird stellenweise kräftig zugelangt. Das alles passt zur Inszenierung Cenčićs.
Sie setzt auf Klamauk, Frivolitäten und kunterbuntes, aber effektreiches Spektakel. In dieser Lesart kehrt Pompeius nicht von seinem dritten Feldzug nach Rom zurück, sondern findet sich im Karneval in Venedig wieder. Das unterstreichen ein grosses Portal im venezianischen Stil auf der Bühne von Helmut Stürmer und die Kostüme von Corina Gramosteanu. Im Februar 1666 in Venedig uraufgeführt, lässt sich «Pompeo Magno» durchaus als Karnevalsoper bezeichnen.
Dort herrscht bei Cenčić ein tolles Treiben, samt einer Schar Kleinwüchsiger, grossen Gummi-Brüsten und manchen erigierten Gliedern. Hier vergnügt sich das Volk, allerdings wähnt man sich gelegentlich eher auf einem derben Karnevalsumzug in Köln als in der eleganten Lagunenstadt.
Kurzweilig und sinnlichDie Inszenierung entfacht viel Tempo und Witz, aber sie opfert dem Drive auch manches Detail. So geht etwa die berührende Familiengeschichte der Königin Issicratea etwas unter, die mit ihrem Sohn Farnace von Pompeius gefangen genommen wurde. Der geschlagene König Mitridate selbst ist untergetaucht und wartet nun inkognito auf die nächste Gelegenheit, Pompeius zu töten.
Das hätte Stoff für noch mehr echte musikdramatische Spannung geboten, zumal mit Mariana Flores als Issicratea, Valerio Contaldo als Mitridate oder den Countertenören Alois Mühlbacher als Farnace und Nicolò Balducci als Sesto starke Sängerdarsteller zu erleben sind. Das sinnliche, kurzweilige Spektakel, das sich diesmal zum Glück auf die Bühne beschränkt, sorgt aber dafür, dass der vierstündige Abend wie im Flug vorüberzieht.
nzz.ch