Gedenkfeier für Peter von Matt: «Das Gegenteil eines Langweilers»


Christoph Ruckstuhl / NZZ
Wenn Peter von Matt seine wöchentlichen Vorlesungen hielt, herrschte an der Universität Zürich Grossandrang. Die Aula war stets überfüllt, im Saal sassen nicht nur Studenten, sondern auch viele andere Interessierte, «Von-Matt-Groupies», wie sie genannt wurden. Nun, fünf Monate nach seinem Tod, kamen viele seiner Anhänger noch einmal zusammen, um sich seiner im Schauspielhaus zu erinnern. Die Tickets waren innerhalb von wenigen Tagen alle weg – in den letzten Jahren hat man den Pfauensaal selten so voll gesehen.
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Von Matt sei das «Gegenteil eines Langweilers» gewesen, so erklärte der frühere NZZ-Feuilletonchef Martin Meyer das Phänomen. «Viele wollten schreiben wie er, niemandem gelang es, auch nicht Marcel Reich-Ranicki.» Meyer nannte von Matt einen «kritischen Patrioten» und sprach damit die vielen Essays und Interviews an, in denen sich der Verstorbene mit der Befindlichkeit des Landes auseinandergesetzt hatte.
Für die frühere Schauspielhaus-Intendantin Barbara Frey war Peter von Matt der «dichterischste aller Germanisten». Ihn habe die Fähigkeit ausgezeichnet, «auch im nüchternen Zustand der Analyse zu träumen». Von Matt sei ein grosser Kenner der Literatur gewesen – solange es nicht um seine eigenen Werke gegangen sei. Einmal habe sie ihm eine Passage aus einem seiner Bücher vorgelesen. «Er fragte mich ungläubig: ‹Das habe ich geschrieben?› Als ich bejahte, fragte er: ‹Wo?›» Dann habe er angefügt: «Ah ja, das ist ja gar nicht so schlecht.»
Mit Dürrenmatt im BellevueMoritz Leuenberger erzählte, von Matt habe ihm in seinem ersten Jahr als Bundespräsident die Vorlage für seine Rede am Tag der Kranken geliefert: Eine Interpretation des Lieds «Der Mond ist aufgegangen». Zudem las der Alt-Bundesrat einen Ausschnitt aus einer Rede vor, die von Matt 1998 am Gedenkanlass zum Jubiläum «200 Jahre moderne Schweiz» in Aarau gehalten hatte. Doch nur bis zur Hälfte. Er konnte die nächste Seite seines Redemanuskripts nicht finden. Nach einigem Zögern fuhr Leuenberger fort: «Ich könnte nun in meinem Handy nachschauen.» Also redete er ohne Manuskript weiter und fasste die Botschaft von Matts bravourös in eigenen Worten zusammen.
Der Anwalt Peter Nobel, der den Gedenkanlass gemeinsam mit Martin Meyer organisiert hatte, erzählte auf unterhaltsame Weise, wie er sich mit Peter von Matt und Friedrich Dürrenmatt im Dezember 1988 im Berner Hotel Bellevue Palace zum Mittagessen mit Bundesrat Flavio Cotti traf, um diesen von der Einrichtung eines nationalen Literaturarchivs zu überzeugen. Wegen eines Schneegestöbers waren Dürrenmatt und von Matt eine halbe Stunde zu spät gekommen. Der Plan: Dürrenmatt schenkt dem Bund seinen Nachlass, unter der Bedingung, dass die Schweiz ein Literaturarchiv einrichtet. Cotti sei während des Essens plötzlich von einem Bundesweibel abgeholt worden. Als er zurückgekommen sei, habe er dem Deal zugestimmt.
Erst später hätten sie erfahren, weshalb Cotti überraschend weggemusst habe: Bundesrätin Elisabeth Kopp hatte an diesem Mittag eingestanden, ihren Mann telefonisch vor Ermittlungen gewarnt zu haben, was später zu ihrem Rücktritt führte. Nobel: «Das Schweizerische Literaturarchiv gibt es womöglich nur dank der Kopp-Affäre.»
Für den musikalischen Rahmen sorgten ein klassisches Streichquartett und ein Volksmusiktrio aus der Innerschweiz. Ein passendes Abbild der Bandbreite, für die von Matt stand: Der Ausnahmegermanist bewegte sich in höchsten Akademikerkreisen, blieb zugleich ein Bergler. Auch bei den Gästen am Gedenkanlass fiel das grosse Spektrum auf, zumindest politisch: Von Matt fasziniert und inspiriert Menschen aus allen Lagern. Was seine Leistung erst recht unterstreicht.
nzz.ch